Killervirus - Gerber, R: Killervirus - Heartstopper
Mindys Lächeln war gar nicht Mrs Rinaldis Entlassung sondern die Tatsache, dass die Klinik in der vergangenen Nacht wieder einen Unbekannten aufgenommen hatte, der unter mysteriösen Umständen zu Schaden gekommen war. Solche Informationen waren, wenn man sie an die richtigen Stellen weitergab, immer ein Paar Dollar wert.
Kurz nach halb neun schallte ein lautes Quietschkonzert durch das Krankenhaus, als Dutzende von Schwestern in ihren orthopädischen Schuhen über das frisch gebohnerte Linoleum der Korridore zu ihren jeweiligen Stationen strebten, und das Geräusch von ruckartig zurückgezogenen Vorhängen vor den einzelnen Betten verkündete den offiziellen Beginn der Tagschicht. Mindy Sanchez’ erstes Ziel war der letzte Raum am Ende eines leeren Ganges: Zimmer 4c im neuen Südflügel.
»Na, wie geht es unserem großen Unbekannten heute
Morgen?«, fragte sie lächelnd, während sie sich über das Bett beugte.
Zu ihrer Überraschung war der unrasierte Mann mit dem grau melierten Haar bereits hellwach und bei vollem Bewusstsein.
»Guten Morgen, Schwester«, sagte er.
»Guten Morgen«, erwiderte Mindy. »Sie sind hier ganz was Besonderes, ist Ihnen das klar?«
Der Patient sah sie fragend an.
»Nun, es kommt schließlich nicht jeden Tag vor, dass jemand mitten in der Nacht am Herzen operiert wird und dann als erster Patient in einen nagelneuen Krankenhausflügel gesteckt wird.«
»Wie bitte?«, fragte der Mann und fasste sich unter der Bettdecke an die Brust. »Eine Herzoperation?«
»Kein Grund zur Aufregung«, sagte Mindy. »Das ist heutzutage nichts Schlimmes mehr. Seit sie diese Katheter verwenden, merken manche Patienten nicht einmal mehr etwas davon.« Sie lachte und schnappte sich das Klemmbrett, das am Fußende des Bettes befestigt war.
»Lassen Sie uns mal sehen …«, murmelte sie und blickte angestrengt auf das Formular. Wer dieses Krankenblatt ausgefüllt hatte, müsste dringend mal einen Schönschreibkurs machen, dachte sie. So eine Sauklaue war selbst bei Ärzten eine Seltenheit.
»Ich kann es leider nicht entziffern«, sagte sie. »Das liest sich wie Aortendissektion. Aber das kann eigentlich nicht sein.«
»Warum nicht?«
»Dann lägen Sie jetzt auf der Intensivstation und würden für den Rest der Woche dortbleiben. Das ist eine Operation
am offenen Herzen, bei der mehrere Rippen zersägt werden. Schlagen Sie mal die Decke zurück und zeigen Sie mir ihre Brust.«
Ben tat, wie ihm geheißen, und schob das Oberteil des Krankenhausschlafanzugs nach oben, den ihm irgendjemand angezogen haben musste.
»Na, sehen Sie, an Ihrer Brust ist nicht der kleinste Einschnitt«, sagte Mindy und gab ihm einen scherzhaften Klaps auf den Unterarm. »Wir sind doch nicht am Ende einer von diesen Simulanten, die sich ins Krankenhaus schleichen, nur um eine Nacht lang ein warmes Bett zu haben?«
Ben lachte, und die Schwester lachte auch. »Und jetzt husch, husch, zurück unter die Decke, sonst erkälten wir uns noch. Ich bringe Ihnen gleich einen natriumarmen Gemüsesaft. Der führt ihrem Kreislauf die nötigsten Elektrolyte zu und senkt außerdem Ihren Blutdruck.«
»Eine Tasse Kaffee wäre mir lieber.«
Mindy wackelte tadelnd mit dem Zeigefinger.
»Sie sind mir vielleicht ein Springinsfeld, Mister …«
»Maxwell. Eigentlich Dr. Ben Maxwell, aber nennen Sie mich Ben.«
»Mindy Sanchez«, erwiderte Mindy automatisch.
Sieh mal einer an, dachte sie. Ein Doktor, den man aus dem Potomac gefischt hat. Wenn an der Sache mal nichts faul war …
In einem großen Krankenhaus wie dem Washington Center kam es immer wieder vor, dass bei einem Patienten nicht alles mit rechten Dingen zuging. Kriminelle kamen, um sich ihre Schusswunden verarzten zu lassen, Drogensüchtige, weil sie sich irgendwelches falsches Zeug gespritzt hatten.
Dieser Dr. Maxwell sah zwar nicht gerade aus wie ein Junkie oder ein Verbrecher, aber man konnte ja nie wissen. Normalerweise ließ das Krankenhaus jeden Patienten, den es aufnahm, durch eine Datenbank der Polizei und des FBI laufen, in der alle gesuchten Verbrecher aufgelistet waren, aber ob das bei diesem Mann gemacht worden war, entzog sich ihrer Kenntnis, und es war ihr auch egal. Sie wusste schon, an wen sie diese Information weiterleiten musste, und mit etwas Glück würde dabei eine hübsche Summe für sie herausspringen.
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8:28 HR
SENATE RUSSELL BUILDING, WASHINGTON, DC
»Für eine Frau, die so wenig schläft wie Sie, sehen Sie einfach fantastisch aus«, sagte Clark
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