Killerwelle
sah, waren weiße Gischtwolken und schäumendes Wasser, das vorbeischoss, als käme es von einem geborstenen Damm. Dann erkannte er, dass sich direkt unter ihm der Eingang zu einer Höhle befand, die in die Felswand bis unter den Tempelkomplex reichen musste. Sie war durch das Gebäude mit dem Wasserrad erreichbar gewesen.
»Ich wette, sie haben das alles nur wegen der Höhle gebaut«, murmelte er vor sich hin. Es musste irgendeine religiöse Bedeutung haben. Seine Kenntnisse, was den Buddhismus betraf, waren zwar ziemlich lückenhaft, aber er wusste immerhin, dass gewisse Höhlen und unterirdische Kammern als heilig betrachtet wurden.
Der Höhleneingang befand sich ohne spezielles Klettergeschirr und mehr Seilmaterial, als das Team eingepackt hatte, außer Reichweite. Doch er fragte sich, ob Soleil einen Versuch gemacht hatte, ihn zu erreichen. Hatten sie sie deshalb noch nicht gefunden? War sie bei dem Versuch, in die Höhle zu gelangen, ausgerutscht und vom Fluss fortgeschwemmt worden?
»Hey, Juan. Komm mal kurz her.« Linda winkte, während sie ihn rief. Sie und Smith schauten auf eine Stelle im Fluss oberhalb des Wasserrads. »Kannst du sehen, was sich da unten im Wasserrad verfangen hat?«
Juan blickte über den Rand der Plattform. Es war schwierig, Einzelheiten zu erkennen – der Fluss war durch die Stromschnellen zu einem weiß schäumenden Inferno geworden –, aber es sah so aus, als hinge etwas in dem stromaufwärts gerichteten Teil des Wasserrads fest. Zuerst tippte er auf ein paar Äste, die von der Strömung mitgerissen worden waren. Der Metallrahmen des Rades wäre eine ideale Barriere für derartiges Treibgut. Aber dann zählte er zwei und zwei zusammen. Dabei entstand vor seinen Augen ein Bild, das zunehmend deutlich wurde. Es war ein menschlicher Körper, der zwischen den Radspeichen eingeklemmt war.
»Mein Gott! Sie ist es!«
Eilig nahm er seinen Rucksack von der Schulter und suchte das sechs Meter lange Seil heraus, das er eingepackt hatte. Während er es auf dem Rücken an seinem Gurtgeschirr befestigte, schlang Linda das andere Ende um den Steinsockel der antiken Pumpe. Das Metall war zu brüchig, um ihm ein schwereres Gewicht anzuvertrauen.
»Möchtest du, dass MacD mich ablöst?«, fragte sie.
Lawless war sicherlich um einiges stärker als sie, aber Cabrillo wollte sein Leben nur ungern zwei Personen anvertrauen, die er kaum kannte. Er schüttelte den Kopf. »Du schaffst das schon mit Johns Hilfe.«
Er ging zum Rand der Plattform, genau über Soleils fixiertem Körper. Er wünschte sich, er könnte den Stiefel an seinem heilen Fuß ausziehen, damit er trocken blieb, aber das Metall und die Felsen waren messerscharf. »Bereit?«
»Ja«, sagten die beiden gleichzeitig.
Cabrillo legte sich auf den Bauch und schwang sich über den Abgrund hinaus. Linda und Smith hielten sein Gewicht und ließen ihn langsam ab. Die Wassertropfen, die vom Fluss hochgeschleudert wurden, waren eiskalt. Juan drehte sich ein wenig, als sich das Seil streckte und entwand, dann kam er zur Ruhe, und die Pendelbewegung ließ nach. Sie ließen mehr Seil nach, und er streckte die Fußspitze nach dem Wasserrad aus. Während sie ihn weiter absinken ließen, verlagerte sich sein Gewicht auf die alte Apparatur, und kurz darauf wurde das Seil schlaff.
Jetzt, aus der Nähe, konnte er erkennen, dass der Körper schlank und grazil war, aber er wandte ihm den Rücken zu, daher war es noch nicht möglich, die Tote formell zu identifizieren. Er ging auf die Knie hinunter und tauchte einen Arm in das eisige Wasser. Die Strömung riss ihn beinahe von seinem Standplatz. Er fand sein Gleichgewicht wieder und versuchte es erneut. Jetzt bekam er den Hemdkragen zu fassen und zog mit aller Kraft daran.
Zuerst rührte sich der Körper nicht. Er hatte sich zu heftig verfangen, und die Flussströmung war zu stark. Juan veränderte also seine Position, um sich besser bewegen zu können, und versuchte es abermals. Diesmal spürte er, wie sie nachgab. Soleils Leiche drehte sich um den Stab, der sie an Ort und Stelle fixiert hatte, seit sie ins Wasser gestürzt war, und zog Cabrillo beinahe mit hinab. Er schaffte es zwar, sich festzuhalten, aber die Strömung war schlichtweg brutal. Er mühte sich ab, die Leiche auf das Wasserrad zu zerren. Ihre nasse Kleidung drohte ihm aus den Fingern zu rutschen, und seine Hand wurde allmählich taub. Da erkannte er, dass sie einen Rucksack auf der Schulter hatte. Seine Finger rutschten weiter ab, bis
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