Killing God
sehr er sich schämt … und dann kam das Ganze mit der Polizei und dem Pfarrer und alles … verdammt …«
Ihre Stimme verliert sich und sie wischt sich eine Träne aus dem Auge.
»Scheiße«, flüster ich.
Sie nickt.
»Was ist mit ihm passiert? Mit dem Pfarrer, mein ich.«
Sie schüttelt den Kopf. »Nichts … gottverdammte Kacke …gar nichts. Er hat alles geleugnet, ist ja klar. Hat gemeint, das Ganze wär nur Olivers Fantasie gewesen. Und Beweise gab’s ja nicht …« Sie zuckt mit den Schultern. »Er wurde versetzt, das ist alles. Der Pfarrer. Sie haben ihn irgendwo in eine andere Stadt versetzt.« Einen Moment starrt sie gedankenverloren vor sich hin, dann drückt sie die Zigarette aus und sieht mich wieder an. »Wir haben im selben Zimmer geschlafen«, sagt sie. »Oliver und ich. Manchmal hatte er Albträume, verstehst du, als das mit dem Pfarrer lief. Er hat im Schlaf geredet. Damals hab ich nichts kapiert …« Sie unterbricht sich, sieht mich nachdenklich an und will wissen, ob ich das versteh.
Ich nicke. »Über manches kann man einfach nicht reden. Es ist zu schwer.«
»Ja … aber man kann es trotzdem verstehen.«
Ich nicke wieder. »Ja …«
Und dann, als wir einen kurzen Moment dasitzen und (abgesehen von
The Jesus and Mary Chain
) Stille in der Luft liegt, klopft es leise an der Tür. Wir drehen uns beide um und sehen, wie sie sich einen Spalt öffnet und Mums Kopf (scheinbar schwebend) in der Lücke erscheint.
»Ich geh dann jetzt zum Arzt, Schatz«, sagt sie.
»Ach ja, stimmt«, antworte ich und schau auf die Uhr (16.32 Uhr). »Ich wusste gar nicht, dass es schon so spät ist …«
Mum lächelt Mel nervös an. »Hallo …«
»Hi«, sagt Mel und lächelt zurück.
»Also gut«, sagt Mum verlegen und wendet sich wieder mir zu. »Ich beeil mich dann mal lieber, sonst komm ich noch zu spät …«
In ihren Augen liegt ein leichter Schleier von Betrunkensein.
»Alles in Ordnung, Mum?«, frag ich.
»Mir geht’s gut.« Sie lächelt mich an. »Also, bis später, Schatz. Okay?«
»Ja, okay. Tschüss …«
Ihr Lächeln verschwindet, als sie den Kopf zurückzieht und die Tür schließt. Ich horch auf die schlurfenden Schritte, mit denen sie die Treppe nach unten geht. Ich hör, wie sie die Schlüssel nimmt und die Haustür öffnet … Pause … dann schlägt die Tür zu.
»Ist sie immer so?«, fragt mich Mel.
»Wie – so nervös?«
»Nein, so betrunken.«
Mein Instinkt will Nein sagen, aber als ich zu Mel rüberschau und den wissenden Blick in ihren Augen seh, wird mir klar, dass es sinnlos wär.
»Also, sie ist nicht
immer
betrunken«, erklär ich.
»Aber öfter als nicht.«
»Ja … so ungefähr.«
Mel nickt. »Meine auch.«
»Echt? Deine Mum?«
»Ja … sie hat schon immer getrunken, aber nachdem sich Oliver umgebracht hat … na ja, das war einfach zu viel für sie. Für Dad auch. Sie sind nicht mehr miteinander klargekommen. Ein Jahr danach haben sie sich getrennt. Seitdem trinkt sich Mum zu Tode.« Mel zündet sich eine Zigarette an und lächelt mich an. »Das Leben ist scheiße.«
»Ja.«
»Du musst sagen:
Verfickte Scheiße
.«
»Muss ich?«
»Ja.«
»Okay …
Verfickte Scheiße!
«
Sie lacht und das Lachen klingt gut. Es klingt auch müde und hoffnungslos – nach Lieber-lachen-als-Heulen oder so –, aber trotzdem klingt es gut.
»Na ja, egal«, sagt sie und ihr Lachen vergeht mit einem erschöpften Seufzer. »Begreifst du jetzt? Ich meine, kapierst du, was ich gemeint hab mit ›verstehen‹?«
»Ja …
(i can see that you and me live our lives in the pouring rain)
ja, ich glaub, ich kapier’s. Na ja, wenigstens den größten Teil.«
»Welchen denn nicht?«
Ich zuck mit den Schultern. »Wieso du hier bist. Ich meine, ich will nicht sagen, dass ich das Ganze nicht zu schätzen weiß oder so, und ich begreif auch, dass es für dich echt
schwer
gewesen sein muss –«
»Es ist nicht
schwer
gewesen für mich.«
»Ich hab auch nicht gemeint –«
»Hör auf mit deiner scheiß Bevormunderei, Dawn.«
»Ich wollte dich nicht –«
»Hör zu«, sagt sie schmallippig. »Ich bin nicht vorbeigekommen und hab dir das alles erzählt, weil du mir leidtust oder irgendwas … klar? Denn das stimmt nicht … und ich will auch nicht, dass du Mitleid mit mir hast. Kapiert?«
»Ja.«
»Ich mein, ich weiß, was du durchmachst … das ist alles. Ich weiß, wie das ist. Und ich wollte dir nur sagen …«
»Wieso?«
»Wieso?«
»Wieso wolltest du mir was
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