Killing time
die Schulglocke läutete. Offensichtlich stimmte seine Uhr nicht mit der Schuluhr überein. Entweder ging seine zwei Minuten vor oder die der Schule zwei Minuten nach. Wenige Sekunden nach dem Läuten flogen die Seiten- und die Vordertür auf, und Kinder unterschiedlicher Größe stürmten hinaus. Kevin hatte ihm erzählt, dass die Sechstklässler als Erste gehen durften und die Siebt- und Achtklässler erst fünf Minuten später entlassen wurden.
Jim stellte sich seitlich an seinen Truck und beobachtete das wilde Gedränge und Gerenne der Mittelschüler. Er erinnerte sich noch gut an seine eigene Zeit auf der Mittelschule, vor allem an die achte Klasse. Jenes Jahr war ihm aus zwei Gründen im Gedächtnis geblieben. Gegen Ende des Schuljahres schaffte er es damals ins Team. Er war groß gewesen für sein Alter, ebenso wie Kevin, der allerdings kein Interesse an dem Sport zeigte, den Jim so sehr liebte. Und der zweite Grund war Roseanna Kimball, das hübscheste Mädchen in seiner Klasse. Sie war seine erste große Liebe gewesen, das erste Mädchen, mit dem er einen Zungenkuss austauschte, und das erste, dessen Brüste er berühren durfte. Er war dreizehn und seine Hormone in hellem Aufruhr. Deshalb bekam er jedes Mal, wenn er nur an Roseanna dachte, einen Ständer. Als sie ihm erstmals gestattete, ihren Busen anzufassen, hatte er beinahe einen Orgasmus.
»He, da ist mein Dad«, rief Kevin und winkte Jim zu.
Jim fragte sich, warum Kevin aus der Schule kam, bevor sein Jahrgang offiziell nach Hause geschickt wurde. Dann sah er, dass Kevin nicht allein war. Deputy Scotty Joe Walters war bei ihm, und beide trugen Kisten.
»Ich komme gleich«, rief Kevin Jim zu. »Ich muss nur Scotty Joe helfen, die Sachen zu seinem Truck zu bringen.«
Scotty Joe grinste, wobei seine weißen Zähne in dem tiefbraunen Gesicht leuchteten. Jim fragte sich, ob der junge Deputy seinen Teint ausgiebigen Aufenthalten im Freien schuldete oder einer Sonnenbank. Er war ein verteufelt hübscher Bursche – blaue Augen, blonde Haare, groß und muskulös.
Gerüchten zufolge waren alle jungen Mädchen der Stadt verrückt nach Scotty Joe. Und wer konnte es ihnen verdenken? Der Knabe sah aus wie ein Model aus der letzten GQ -Ausgabe. Nein, eher wie der Kerl auf dem Titel einer Fitness-Zeitschrift.
»Kevin hat mir heute bei meiner Präsentation für die Achten geholfen«, erklärte Scotty Joe, als er auf seinen Geländewagen zuging, der gegenüber der Schule stand. Am Straßenrand auf der Schulseite reihten sich die Wagen der Eltern, die ihre Kinder abholten. »Sie haben einen tollen Sohn, Captain Norton.«
»Ja, das weiß ich.« Jim ging zu ihnen und fragte Kevin: »Brauchst du Hilfe?«
»Nein, danke, Dad.« Kevin folgte Scotty Joe, der seine Kisten auf das Wagendach hievte, bevor er die Heckklappe aufschloss und herunterklappte. Dann drehte er sich zu Kevin um. »Komm, gib mir die Kisten.«
Kevin reichte sie ihm. »Wenn Sie nächste Woche bei Ihrer Präsentation bei den Siebten Hilfe brauchen, sagen Sie mir Bescheid.«
Scotty Joe lachte und stellte die Kisten hinten in seinen Wagen. »Kluges Kind.« Er zwinkerte Jim zu. »Er plant schon im Voraus, wie er sich vor dem Unterricht drücken kann, ohne Ärger zu bekommen.«
»Nein, das stimmt nicht, und das wissen Sie auch«, sagte Kevin. »Mir hat es nur Spaß gemacht, Ihr Assistent zu sein. Und außerdem fand ich Ihren Vortrag interessant. Wissen Sie, Sie reden so … na ja, als wenn Sie uns wirklich für ernst nehmen und behandeln uns nicht so von oben herab, als wären wir bloß dämliche Kinder.«
Scotty Joe wuschelte Kevin durch das etwas zu lange Haar, und Jim stellte fest, dass er seinen Sohn dringend zu einem Friseur bringen sollte. Er war nicht gewohnt, sich um solche Dinge zu kümmern. Schließlich war ihm nie zuvor die Aufgabe zugefallen, Kevin ab und zu die Haare schneiden zu lassen oder dafür zu sorgen, dass er regelmäßig zum Zahnarzt ging. Mit diesen Routineangelegenheiten im Leben seines Sohnes hatte er jahrelang nichts zu tun gehabt.
»Ich erinnere mich noch, wie es war, als ich Kind war«, sagte Scotty Joe. »Das ist gar nicht so einfach, vor allem dann nicht, wenn alle Erwachsenen dauernd so tun, als könnte man nicht bis drei zählen.«
Kevin lachte. »Da haben Sie recht.«
»Können wir dann los, Kevin?«, fragte Jim.
»Ja, in einer Minute«, antwortete Kevin. »Ach, Scotty Joe, mein Dad und ich fahren heute Nachmittag zum Angeln raus.« Er blickte abwechselnd den
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