Killing time
der hatte Bernie nicht nur der Lokalpresse Rede und Antwort stehen müssen, sondern auch Zeitungsreportern aus Huntsville und mehreren Fernsehteams. Sie hatte ihre Kommentare bewusst sehr knapp gehalten und sich geweigert, Fragen zu beantworten, was in diesem frühen Stadium der Ermittlungen das übliche Prozedere war. Aber so kurz der Bericht an die Presse auch ausgefallen war – Stephanie Prestons Leiche war gefunden worden, die Todesursache würde durch eine Autopsie ermittelt werden und, ja, man ginge von einem Mord aus –, dürften inzwischen trotzdem schon reichlich Gerüchte im Umlauf sein. Jeder der Schaulustigen, die am Fundort gewesen waren, könnte herumerzählen, dass Stephanies Kehle durchgeschnitten und sie nackt gefunden worden war.
Nachdem er seine Dr. Pepper ausgetrunken hatte, wischte Jim sich den Mund ab, ging zum Mülleimer in der Küche und warf die leere Colaflasche sowie das Küchentuch hinein, das er als Serviette benutzt hatte. Dann sah er auf seine Uhr. Wenn er sich beeilte, schaffte er es gerade noch, sich zu rasieren. Er sollte Patterson um halb sieben abholen und mit ihm gemeinsam zu seinem Büro im Bezirksgefängnis fahren, wo sie sich mit Bernie, Ron Hensley und John Downs trafen.
Jim war schon auf halbem Weg ins Bad, als sein Handy klingelte. Mit einer Hand öffnete er die Badezimmertür, mit der anderen nahm er das Gespräch an. »Ja?«
»Jim Norton?« Er erkannte die Männerstimme nicht.
»Ja, hier ist Norton.«
»Mr. Norton … Jim … hier ist Allen Clark.« Er machte eine Pause, weil er anscheinend auf eine Reaktion von Jim wartete. »Sie wissen schon, Mary Lees Mann.«
»Ja, ich weiß, wer Sie sind. Was ist los? Geht es um Kevin? Er soll nächstes Wochenende zu mir kommen. Mary Lee hat es sich doch hoffentlich nicht anders überlegt.«
»Nein, nein, nichts dergleichen.«
»Was ist dann?« Jim schaltete das Licht an und betrachtete sich im Spiegelschrank.
»Ich habe mich gefragt … das heißt,
wir
haben uns gefragt, ob Sie Kevin eventuell schon früher als geplant nehmen können, sagen wir ab nächsten Donnerstag?«
»Ja, klar, aber ich verstehe nicht, was los ist. Wieso gönnt Mary Lee mir zusätzliche Tage mit Kevin?« Seit ihrer Scheidung vor fast sieben Jahren hatte seine Exfrau sich jede Mühe gegeben, seine Beziehung zu seinem Sohn zu torpedieren und ihm nie, niemals zusätzliche Zeit mit ihm gegönnt.
»Genaugenommen müssten wir Sie bitten, Kevin für einige Wochen zu sich zu nehmen, wenn es geht, bis zum Schulanfang im August.«
»Und wo ist der Haken?«
»Hören Sie zu, Mr. Norton … Jim, ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll, also sage ich einfach, wie es ist. Bei Mary Lee wurde Brustkrebs diagnostiziert. Am nächsten Freitag wird man ihr eine Brust abnehmen, hier in Huntsville. Anschließend muss sie noch Bestrahlungen bekommen und eine Chemo machen. Und während dieser Zeit braucht sie absolute Ruhe.«
Mary Lee hatte Brustkrebs? Die Nachricht traf ihn wie ein Keulenschlag – nicht weil er noch tiefe Gefühle für seine Ex hatte. Nein, das war es nicht. Aber sosehr er Mary Lee manchmal auch hasste und sooft er sie in der Vergangenheit auch schon verflucht hatte, sie war die Mutter seines Sohnes. Kevin liebte sie, und er brauchte sie.
»Wie ist die Prognose?«, fragte Jim, der einen Kloß im Hals hatte. Okay, vielleicht lag ihm doch noch etwas an Mary Lee. Vielleicht würde sich daran nie etwas ändern. Aber er liebte sie nicht. Seine Liebe zu ihr hatte sie vor Jahren getötet.
»Der Arzt ist optimistisch. Natürlich wissen wir es erst nach der Operation genauer, wenn der Zellbefund aus den Lymphknoten vorliegt. Aber wir beten und hoffen auf das Beste.«
»Ja, selbstverständlich tut ihr das. Wie verkraftet Mary Lee es?« Seine Exfrau hatte sich stets als eine verführerische Frau gesehen und ihren Körper sowohl als Waffe gegen als auch als Belohnung für die Männer in ihrem Leben benutzt.
»Geht so. Sie hat Angst und ist traurig. Vor allem macht sie sich Sorgen um Kevin.«
»War es ihre Idee oder Ihre, dass ich Kevin die nächsten Wochen zu mir nehme?«, fragte Jim.
Allen Clark räusperte sich. »Eigentlich meine. Sie hatte Angst, dass Kevin zu viel allein ist, weil Sie doch gerade einen neuen Job angefangen haben.«
»Ich werde darauf achten, dass er so wenig wie möglich allein sein muss.«
»Dann ist es Ihnen recht, wenn ich ihn nächsten Donnerstag nach Adams Landing bringe?«
»Ja, klar. Was ist mit Kevin? Habt
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