Killing time
dass die Leiche erst vor kurzem hier abgelegt wurde, in den letzten paar Stunden, also ist es eher unwahrscheinlich, dass die Bisse von Wildtieren stammen. Dann wären sie auch tiefer, mit Rissen und fehlenden Fleischteilen.«
»Es sind also menschliche Bisse?«
»Das würde ich schätzen, ja«, antwortete Jim.
»Jemand hat Stephanie gefoltert.« Bernie schloss für zwei Sekunden die Augen, öffnete sie wieder und räusperte sich.
»Es ist vollkommen in Ordnung, wenn Sie das mitnimmt«, sagte Jim. »Sie müssen nicht so tun, als würde es Ihnen nichts ausmachen, dass diese junge Frau nicht nur umgebracht wurde, sondern der Täter sie vermutlich auch wochenlang gefoltert hat, bevor er ihr die Kehle durchschnitt.« Er sah Bernie an und bemerkte, dass sie sehr blass war. »Mich nehmen solche Fälle auch verdammt mit. Ich bin bloß besser darin, meine Gefühle zu verbergen.«
»Ich kann es mir nicht leisten, zu weinen oder zu schreien. Ich bin der Sheriff. Welchen Eindruck würde es auf meine Mitarbeiter – und auf alle anderen – machen, wenn ich bei allem Schrecklichen, dem ich ausgesetzt werde, sofort zusammenbreche und losheule wie … wie …«
»Wie eine Frau?«
Bernie stieß einen verärgerten Seufzer aus. »Glauben Sie, dass sie nackt ist, ist ein Hinweis auf Vergewaltigung?«
»Wahrscheinlich, aber es muss nicht sein. Nach der Autopsie werden wir genauer wissen, was sie in den … zwei Wochen durchgemacht hat, die sie als vermisst galt.«
»Unser Leichenbeschauer, Morris Claunch, ist der örtliche Bestattungsunternehmer«, sagte Bernie. »Er ist nicht für die Art Autopsie ausgebildet, die wir brauchen.«
»Dachte ich mir schon. Werden Sie ihm raten, sich mit der Gerichtsmedizin in Verbindung zu setzen? Oder gehe ich falsch in der Annahme, dass das Sheriff-Büro bei Mordfällen die Staatspolizei einschaltet?«
»Sie sind mein Chief Deputy, der Chefermittler meines Büros«, erklärte Bernie. »Würden Sie empfehlen, bei diesem Fall die Gerichtsmedizin
und
die Staatspolizei hinzuzuziehen?«
Er sah ihr in die Augen. Wollte sie ihn testen, indem sie ihn fragte, was er für ratsam hielt? »Ja, das würde ich empfehlen. Aber Sie sind der Sheriff, also entscheiden Sie.«
»Hören Sie, im Gegensatz zu vielen anderen bin ich mir durchaus darüber im Klaren, dass das Rechtssystem in den meisten Bezirken von Alabama bis heute unter einer vorherrschenden
Reviermentalität
leidet und viele Sheriffs und Polizeichefs es grundsätzlich ablehnen, die Staatspolizei einzuschalten. Aber ich gehöre nicht dazu.«
»Ja, den Eindruck hatte ich auch schon.« Seine Mundwinkel hoben sich leicht und deuteten ein anerkennendes Lächeln an.
»In Adams County fehlen uns schlicht die Mittel für die umfangreichen Tatermittlungen, wie sie in solchen Fällen erforderlich sind«, sagte Bernie. »Mein einziger Mordfall bisher war einfach und schnell gelöst, weil der Täter ein Geständnis ablegte. Daher habe ich noch nie mit dem hiesigen FBI zusammengearbeitet. Aber mein Dad kennt den Bezirksleiter in Huntsville und sagte mal, er hätte noch nie Probleme bei der Zusammenarbeit mit deren Büro gehabt.«
Jim sah auf das Handy, das an Bernies Gürtel klemmte, und sagte: »Je eher desto besser.«
»Stimmt.« Sie nahm ihr Handy und sah die Liste der gespeicherten Nummern durch. Dann ging sie ein Stück auf Abstand zu Jim und weit genug weg von den Schaulustigen, um ungestört zu telefonieren.
Hensley kam zu Jim und nickte Richtung Bernie. »Ruft sie das FBI an?«
»Ja.«
»Morris Claunch ist gerade angekommen«, sagte Hensley. »Was soll ich ihm sagen?«
Jim sah es als gutes Zeichen, dass Hensley gleich am ersten Tag unter dem neuen Vorgesetzten die Spielregeln beachtete. »Sagen Sie ihm, dass Sheriff Granger das FBI hinzuzieht und die Leiche in die nächste Gerichtsmedizin geht«, antwortete Jim, der Hensley direkt ansah. »Wie lange wird es dauern, bis wir einen Autopsiebericht bekommen?«
»Der Durchschnitt? Eine Woche bis einen Monat. Und eine DNS -Analyse kann bis zu einem halben Jahr und länger dauern, im schlimmsten Fall bis zu einem Jahr.«
»Das hatte ich befürchtet.«
»Die Gerichtsmedizin ist überlastet, unterbezahlt und hoffnungslos unterbesetzt«, sagte Hensley. »Wir haben früher teilweise bis zum Prozess nur mit vorläufigen Berichten gearbeitet.«
»Sofern der Leichenbeschauer uns nichts anderes sagt, gehe ich davon aus, dass Stephanie Preston wiederholt vergewaltigt und gefoltert wurde, bevor man
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