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Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Titel: Kim Novak badete nie im See von Genezareth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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seufzte tief und drehte sich zur Wand. Ich guckte auf meine selbstleuchtende Armbanduhr. Es war halb drei. Wahrscheinlich dämmerte es draußen schon, aber wir hatten wie immer die Rollos heruntergelassen.
    Krebs-Treblinka-Liebe-Bumsen-Tod, dachte ich etwas resigniert.
    Und Edmunds Vater. Und Henry und Ewa Kaludis. Nein, das war ein wenig zu schwer, wie schon gesagt. Es lohnte sich nicht, darüber nachzudenken.
    Das war nichts für eine zarte Taube, um sich ihre niedlichen Gehirnwindungen darüber zu zerbrechen.
    »Das ist eine etwas heikle Sache, ich gehe davon aus, dass euch das klar ist. Wirklich heikel.«
    Henry sah uns ernst über den Esstisch hinweg an. Zuerst mich, dann Edmund. Wir schauten ernst zurück und schluckten jeder unseren Klumpen Makkaroniauflauf hinunter. Es war bedeutend einfacher, ernst und Vertrauen erweckend auszusehen, wenn man nicht die Fresse voll mit Makkaronis hatte. Vor allem, wenn man etwas zu viel Mehl in die Soße gekippt hatte, und das hatte Edmund diesmal gemacht.
    »Selbstverständlich«, sagte ich.
    »Diskretion Ehrensache«, sagte Edmund.
    Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete, aber er kam immer mit solchen merkwürdigen Ausdrücken, der Edmund.
    Diskretion Ehrensache.
    Es ist was faul im Staate Dänemark.
    Sä la gär, sagt der Deutsche.
    Ganz zu schweigen von den vielen norrländischen Redewendungen.
    »Gut«, sagte Henry. »Ich verlasse mich auf euch. Und denkt dran: Auch wenn ihr meint, ihr wüsstet eine Menge, so ist es doch herzlich wenig, was ihr eigentlich kapiert.«
    »Und das gilt nicht nur für euch, sondern auch für mich«, fügte er nach einer Weile hinzu. »Das betrifft alle.«
    Er fuchtelte eine Weile mit seiner Gabel in der Luft herum, als wollte er das, was er sagte, ins leere Nichts schreiben. »Uns Menschen würde es sowieso viel besser gehen, wenn wir nicht immer, sobald wir die Gelegenheit dazu haben, sofort unsere Schlüsse ziehen würden. Stattdessen sollten wir lieber in dem glitzernden, funkelnden Jetzt leben.«
    Er schwieg und zündete sich eine Lucky Strike an. Saß da, schaute nachdenklich vor sich hin und blies den Rauch über den Tisch. Es kam nicht oft vor, dass Henry mehrere Sätze hintereinander von sich gab, zumindest nicht uns gegenüber, und es sah so aus, als wäre diese Anstrengung schon fast zu viel für ihn gewesen.
    »Das funkelnde, glitzernde Jetzt«, sagte Edmund. »Genau, was ich mir immer gedacht habe.«
    »Wie läuft es mit dem Buch?«, warf ich schnell ein.
    »Was?«, fragte Henry und starrte Edmund an.
    »Das Buch«, sagte ich. »Dein Buch.«
    Henry löste seinen Blick von Edmund und nahm noch einen Zug von seiner Zigarette. »Das läuft ausgezeichnet«, sagte er und streckte die Arme über den Kopf. »Nur dass du es erst lesen darfst, wenn du zwanzig bist, vergiss das nicht.«
    »Warum denn?«
    »Weil es eben so ein Buch ist«, erklärte Henry, mein Bruder.
    Der Adler beschützt die Taube, dachte ich, und dann tauchte diese halbe Manuskriptseite in meinem Kopf auf. Die ich vor ungefähr acht, zehn Tagen gelesen hatte - von dem Körper, der auf dem Kiesweg landete, der Schwüle des Sommerabends und so. Plötzlich schämte ich mich. Ich fühlte mich ohne Vorwarnung ertappt bei etwas Verbotenem, das nicht für Kinder geeignet war, ich wusste gar nicht, warum. Ich murmelte etwas Unverständliches als Antwort, obwohl das eigentlich gar nicht notwendig war, und sah zu, schnell weitere Makkaronis in mich hineinzuschaufeln.
    »Ich will morgen mal zu Mutter fahren und sie besuchen«, erklärte Henry, nachdem er seine Zigarette ausgedrückt hatte. »Willst du mitkommen?«
    Ich kaute und schluckte. »Nein, vielen Dank«, sagte ich. »Ich glaube nicht. Vielleicht in ein paar Wochen.« »Wie du willst«, sagte Henry.
    »Aber du kannst sie doch grüßen, oder?«, fragte ich.
    »Na klar«, versicherte Henry.
    ***
    »Die Seele sitzt direkt hinter dem Kehlkopf«, war so ein anderer Spruch, den meine Mutter von sich gab, bevor sie ins Krankenhaus kam. »Wenn man dort nachfühlt, weiß man immer, was richtig und was falsch ist. Denk dran, Erik.«
    Am Tag nach dem Tag E (E wie Ewa Kaludis) ruderten wir den Fluss hinauf, um uns bei Laxmans mit Proviant einzudecken, und ich fragte Edmund, was er meinte, wo sich die Seele wohl im Körper befinde. Und über richtig und falsch.
    Es schien so, als hätte Edmund noch nie in dieser Richtung nachgedacht, denn er ließ einen Ruderschlag aus, und wir rutschten direkt ins Schilf. Sicher, das war schnell

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