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Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Titel: Kim Novak badete nie im See von Genezareth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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überwucherte Blumenbeet am Haus mit den Pfingstrosen, Reseda und hunderterlei verschiedenem Unkraut. Vorsichtig wie die Indianer schlichen wir uns dorthin, und noch ein Stück vorsichtiger reckten wir unsere Köpfe über die Fensterbank.
    Und da sahen wir es.
    Es war wie in einem Film, obwohl, es zu der Zeit, Anfang der sechziger Jahre, noch keine solchen Filme gab. Nur vage hatte ich damals das Gefühl, dass es sie in zwanzig Jahren geben würde. Oder in dreißig. Oder in hundert, wie auch immer, jedenfalls würde es irgendwann solche Filmrollen geben, ganz einfach allein aus dem Grund, weil sie gebraucht wurden.
    Vage hatte ich so eine Ahnung. Was sonst noch lief, war alles andere als vage.
    Ewa Kaludis saß auf meinem Bruder. Sie war nackt, und ihr Busen wippte auf und ab, als sie sich über ihm senkte und wieder erhob. Wir sahen die beiden ein wenig von der Seite, schräg von vorn - ich meine, nur sie, und sie war ja schließlich die Hauptsache. Sie hatten Kerzen in leeren Flaschen brennen, die Flammen flackerten und warfen ein Feuermuster über ihren Körper und ihre Bewegungen.
    Über ihr nacktes Gesicht, ihre nackten Schultern und ihre nackte Brust. Ihren leicht gewölbten glänzenden Bauch, der sich vorstreckte und rollte, und über ihren dunklen Schoß, der nur teilweise zu sehen war und immer wieder von ihrem eigenen Schenkel und Henrys Händen verdeckt wurde.
    Ich glaube, wir hielten fünf Minuten die Luft an, Edmund und ich. In dem nur schummrig erleuchteten Zimmer liebte Ewa Kaludis meinen Bruder, ruhig und zielbewusst, wie es aussah. Nur für den Bruchteil von Sekunden konnten wir ihren ganzen Schoß sehen und erkennen, dass Henry wirklich in ihr war, aber mehr war auch gar nicht notwendig. Es war so unbeschreiblich schön. So verdammt schön, dass mir klar war, dass ich niemals wieder in meinem Leben etwas Ähnliches sehen würde. Niemals. Obwohl mein dürrer, erigierter Vierzehnjährigenschwanz wehtat wie ein Beinbruch, begann ich zu weinen. Ebenso ruhig und leise wie damals, als wir in der Sommernacht vom Lackapark nach Hause geradelt waren, ließ ich meine Tränen einfach fließen. Ich stand da im Unkraut, starrte hinein und weinte. Weinte und starrte. Nach einer Weile merkte ich, dass Edmund wichste. Er atmete jetzt mit offenem Mund, und seine rechte Hand fuhr wie ein Kolben in seiner Pyjamahose hin und her.
    Ich holte tief Luft und tat es ihm gleich.
    Hinterher schlichen wir uns davon. Ohne ein Wort gingen wir über das taunasse Gras zum See. Liefen über den Pontonsteg und tauchten so leise wir konnten ins Wasser, damit es nicht im Haus zu hören war. Mit Pyjamahosen und allem.
    Das Wasser war spiegelblank, warm und weich. Ich drehte mich um und schwamm lange Zeit auf dem Rücken. Dann ließ ich mich eine ganze Weile einfach treiben. Edmund war auch weit hinausgeschwommen, hielt sich aber etwas von mir entfernt. Wir brauchten den Abstand, das war deutlich zu spüren, zwei einsame Vierzehnjährige mitten in der Nacht in einem juliwarmen Sommersee.
    Edmund und ich.
    Nun hatten wir nicht gerade unsere Jungfernschaft verloren, aber irgendetwas war mit uns geschehen. Etwas Großes und fast Geheimnisvolles. Mir kam in den Sinn, dass ich endlich eine Tür geöffnet und etwas gesehen hatte, was ich mir schon lange zu sehen gewünscht hatte. Etwas, das wie ein anderes Land war.
    Und dass es schön gewesen war.
    So verflucht schön. Da war es irgendwie einfach notwendig, hinterher eine Weile im See herumzuschwimmen.
    Ja, ungefähr das dachte ich.
    Am nächsten Morgen waren wir schon ziemlich früh auf den Beinen, obwohl wir den größten Teil der Nacht wach gewesen waren. Als wir hinuntergingen, waren Henry und Ewa verschwunden, deshalb nahmen wir an, dass er sie in den frühen Morgenstunden nach Hause gebracht hatte. Es ging natürlich nicht an, dass sie so lange hier blieb, wenn sie meinen Bruder besuchte.
    Nahmen wir an. Dachten wir uns im Stillen in unseren vierzehnjährigen Gehirnen. Wir sagten überhaupt nicht viel an diesem Morgen. Edmund rührte die Haferflocken fünf Minuten lang um, bevor er überhaupt anfing zu essen. Wie immer. Er strich seine Streichkäsebrote mit der gleichen Pingeligkeit wie immer. Als wäre er mit etwas ungemein Wichtigem beschäftigt, mit einem für die Zukunft der Menschheit entscheidenden wissenschaftlichen Experiment. Als würde es genügen, dass nur ein kleiner Klecks daneben ging oder ein Quadratzentimeter Brot nichts abbekam, und schon explodierte das ganze

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