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Kind 44

Kind 44

Titel: Kind 44 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Tjapkin. »Würden Sie uns entschuldigen?«
    »Natürlich.« Tjapkin warf Leo einen Seitenblick zu, als wolle er ihm alles Gute wünschen, dann trat er den Rückzug an. Nesterow kam näher.
    In dem linkischen Bemühen, ihn abzulenken, begann Leo seine jüngsten Erkenntnisse zusammenzufassen.
    »Im ursprünglichen Bericht steht nicht, dass ihr der Magen entfernt wurde. Jetzt können wir Warlam mit einer gezielten Frage konfrontieren: Warum hat er ihr den Magen herausgeschnitten, und was hat er danach damit gemacht?«
    »Was tun Sie hier in Wualsk?« Nesterow stand Leo nun unmittelbar gegenüber. Die Leiche des Mädchens lag zwischen ihnen.
    »Ich bin hierher versetzt worden.«
    »Warum?«
    »Das kann ich nicht sagen.«
    »Ich glaube, Sie sind immer noch im MGB.«
    Leo schwieg. Nesterow fuhr fort: »Das erklärt aber nicht, warum Sie sich so für diesen Mord interessieren.
    Wir haben Mikojan ohne Anklage entlassen, so wie man es uns befohlen hat.«
    Leo hatte keine Ahnung, wer Mikojan war.
    »Ja, ich weiß.«
    »Er hatte mit dem Tod dieses Mädchens nichts zu tun.«
    Mikojan war wahrscheinlich der Name dieses Parteibonzen. Man hatte ihn geschützt. Aber war ein Mann, der eine Prostituierte schlug, deshalb auch gleich einer, der dieses junge Mädchen umgebracht hatte? Leo hielt das nicht für wahrscheinlich.
    Nesterow fuhr fort: »Ich habe Warlam nicht verhaftet, weil er etwas Falsches gesagt oder etwa vergessen hat, einer Parade am Roten Platz beizuwohnen. Ich habe ihn verhaftet, weil er das Mädchen getötet hat, weil er gefährlich und die Stadt sicherer ist, wenn er sich hinter Schloss und Riegel befindet.«
    »Er war es nicht.«
    Nesterow kratzte sich an der Wange.
    »Weswegen Sie auch immer hier sein mögen, vergessen Sie nicht, dass Sie nicht mehr in Moskau sind. Wir haben hier eine Übereinkunft: Meine Männer können sich sicher fühlen. Keiner von ihnen ist je verhaftet worden, und so wird es auch bleiben. Wenn Sie etwas unternehmen, was meine Mannschaft gefährdet, wenn Sie irgendetwas weiterleiten, was meine Autorität untergräbt, wenn Sie einen Befehl missachten, eine strafrechtliche Verfolgung zu Fall bringen, meine Beamten als inkompetent hinstellen, wenn Sie sie auch nur zu denunzieren versuchen, dann bringe ich Sie um.«
    20. März
    Raisa berührte den Fensterrahmen. Die Nägel, die man hineingehämmert hatte, um das Schlafzimmerfenster zu verschließen, waren alle herausgezogen. Sie wandte sich um, ging zur Tür und machte sie auf. Im Flur konnte sie von unten den Lärm des Restaurantbetriebs hören, aber von Basarow war nichts zu sehen. Es war später Abend, da hatte er immer am meisten zu tun.
    Raisa machte die Tür zu und schloss ab. Dann ging sie zurück zum Fenster, öffnete es und spähte hinunter.
    Unmittelbar unter ihr befand sich eine Dachschräge, sie gehörte zur Küche. Dort, wo Leo hinuntergeklettert war, war der Schnee zerwühlt. Raisa kochte vor Wut.
    Kaum waren sie beide mit knapper Not davongekommen, musste er schon wieder ihrer beider Leben aufs Spiel setzen.
    Heute war Raisas zweiter Tag an der Oberschule Nr.
    151 gewesen. Der Schuldirektor Vitali Kolsowitsch, ein Mann Ende vierzig, war überaus erfreut gewesen, dass Raisa in sein Kollegium eintrat, denn sie hatte viele seiner Stunden übernommen und es ihm ermöglicht, sich mehr um den Papierkram zu kümmern. Das zumindest hatte er behauptet. Raisa war sich nicht so sicher, ob ihre Ankunft ihm erlaubte, sich wirklich anderen Aufgaben zu widmen oder einfach nur weniger zu arbeiten. Auf den ersten Eindruck wirkte er wie ein Mann, der sich lieber hinter einem Buch verkroch, als zu unterrichten.
    Trotzdem war Raisa mehr als froh gewesen, sofort mit der Arbeit anzufangen. Von der Handvoll Stunden zu urteilen, die sie bisher erteilt hatte, schienen ihr die Schüler hier in politischer Hinsicht weniger ausgebufft zu sein als die in Moskau. Sie brachen nicht jedes Mal in Applaus aus, wenn der Name eines wichtigen Kaders fiel, wetteiferten nicht so heftig darum, ihre Loyalität zur Partei zu demonstrieren, und kamen ihr überhaupt viel mehr wie ganz normale Kinder vor. Sie stammten aus den unterschiedlichsten Verhältnissen, aus Familien, die man aus allen Ecken des Landes zusammengewürfelt hatte und deren Erfahrungshintergründe vollkommen unterschiedlich waren. Ähnliches traf auf das Kollegium zu. Fast alle Lehrer waren aus anderen Gegenden nach Wualsk versetzt worden. Da sie Ähnliches durchgemacht hatten wie sie selbst gerade,

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