Kind der Hölle
nicht in Ordnung ist.«
»Es war, als ich die Treppe hinaufging …« Janet verstummte, weil sie wußte, wie absurd ihr Bericht über die Eiseskälte sich anhören würde. Und jetzt, da Ted bei ihr war und ihre Wange streichelte, kam es ihr so vor, als wäre nichts Ungewöhnliches passiert.
Sie hatte einen normalen Luftzug gespürt, der in ihrer Fantasie gewaltige Ausmaße annahm, weil es sie nervös machte, zu später Stunde in dem großen Haus fast allein zu sein.
Kim hatte nur einen Alptraum gehabt.
Und Scout hatte irgendwo eine läufige Hündin gewittert.
Das Wichtigste war, daß Jared und Ted jetzt wieder zu Hause waren. Sie schmiegte sich an ihren Mann. »Alles in Ordnung«, murmelte sie. »Es ist nichts passiert.«
Und als Teds Finger unter ihr Nachthemd glitten und ihre nackte Haut elektrisierten, verflogen ihre Ängste vollends.
Es war fast Mitternacht, aber die beiden Priester waren nicht bereit, ihre Vigil zu beenden.
»Es ist Halloween«, hatte Vater MacNeill vor Stunden beim Abendessen gesagt, »und ich spüre, daß irgend etwas geschehen wird.«
»Vielleicht irren Sie sich«, hatte Vater Devlin zur Vorsicht gemahnt. »Vielleicht irren wir uns beide.«
Jetzt legte er eine knochige Hand auf die alte Bibel, die Cora Conway ihm an ihrem Todestag anvertraut hatte. »Vielleicht hat das alles gar nichts zu bedeuten. Vielleicht sind es nur Fantasiegespinste unglücklicher Frauen.«
»Sie wissen genau, daß das nicht stimmt«, erwiderte Vater MacNeill. »Und wir haben noch nicht alles gelesen. Wenn wir nur die fehlenden Seiten finden könnten …«
»Sie sind nicht mehr da«, seufzte der alte Priester. »Ich habe die ganze Bibel zweimal Seite für Seite durchgeblättert. Sie sind einfach nicht mehr da.«
Vater MacNeill ließ es sich trotzdem nicht nehmen, selbst nachzuschauen. Während er die Seiten umblätterte, glaubte er die fehlenden Blätter förmlich zu spüren, und er war so sicher, daß er sie letztendlich finden würde, daß er sogar den Einband des Buchrückens gründlich untersuchte. Dann mußte er jedoch zugeben, daß Vater Devlin wohl recht hatte. Mit einem schweren Seufzer schob er die Bibel frustriert von sich. Sie rutschte über den Tisch, und eine kleine Dose fiel klirrend zu Boden.
Bedauernd hob er die Spieldose auf. »Es tut mir wahnsinnig leid. Wie konnte ich nur so ungeschickt sein?«
»Macht nichts«, versicherte Vater Devlin. »Sie ist sowieso kaputt.«
Vater MacNeill öffnete den Deckel der Spieluhr. Ein leises Klicken verriet, daß der Mechanismus ausgelöst worden war, doch es erklang keine Musik.
»Als ich sie kaufte, spielte sie eine grauenhafte Version des ›Ave Maria‹«, kicherte Vater Devlin. »Vermutlich hat Cora sie absichtlich kaputtgemacht.«
»Cora?« wiederholte Vater MacNeill. »Cora Conway?« Er drehte die Dose um und betrachtete den Boden. Das Uhrwerk war durch eine Messingplatte geschützt, die von vier kleinen Schrauben gehalten wurde. Aufgeregt eilte der Priester die Treppen hinab und kehrte kurz darauf mit einem verbeulten Werkzeugkasten zurück. Er mußte lange herumwühlen bis er einen feinen Schraubenzieher fand. Eine Minute später entfernte er die Messingplatte, und da lagen, sorgfältig gefaltet, die fehlenden Blätter. Mit zittrigen Fingern glättete er sie auf dem Tisch und begann zusammen mit Vater Devlin zu lesen, was Loretta Villiers Conway in ihrer perfekten Schrift notiert hatte.
31. Oktober 1875
Heute ist mein Hochzeitstag.
Ich hatte nicht damit gerechnet, jemals zu heiraten, weil ich ja so krank gewesen bin, und sogar heute bin ich mir nicht sicher; ob es nicht besser gewesen wäre, wenn ich gestorben wäre. Aber ich weiß, daß ich Monsignore Melchior Conway heiraten muß, um der ewigen Verdammnis zu entgehen. Das haben mein Vater und der Monsignore mir gesagt. Der M onsignore ist vor drei Monaten aus Philadelphia gekommen. Unser Ortspriester hatte ihn darum gebeten, weil er überzeugt war, ich sei vom Teufel besessen. Ich erinnere mich nicht an die Ankunft von Monsignore Melchior, weil ich damals mein Schlafzimmer nicht verlassen durfte. Auch an die Zeit davor habe ich nur schwache Erinnerungen, aber das wenige will ich zu Papier bringen. Ich war im Keller unseres kleinen Hauses, als ich einen seltsamen Nebel bemerkte, der aus einem Loch im Lehmboden aufstieg. Als ich den Nebel einatmete, verwandelte sich der Keller. Alles war plötzlich in Gold getaucht, und ich sah herrliche Bilder. Dann tauchte ein Wesen auf und berührte
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