Kind der Hölle
Gefühl, sein Trommelfell würde von dem unbeschreiblichen Wutgeheul platzen, das in dem riesigen Raum widerhallte und ihn um den Verstand zu bringen drohte. Er vergaß den Dolch und hielt sich unwillkürlich die Ohren zu, um das Kreischen der Verdammten, die ewigen Höllenqualen ausgesetzt waren, nicht mehr hören zu müssen.
Das blutige Messer war dicht neben Teds lebloser Hand auf den Boden gefallen, und als Jared vom Altar wegtrat, streifte er es versehentlich mit dem Fuß. Der Dolch drehte sich, und der Griff berührte die Finger seines Vaters.
Sie zuckten wie elektrisiert und schlossen sich um die Waffe. Das Blut auf der Klinge wurde in den Körper zurückgesaugt, aus dem es hervorgesprudelt war. Ein gutturaler Laut entrang sich Teds Kehle, er setzte sich auf, stützte sich am Altar ab und torkelte auf die Beine. Seine Augen bohrten sich in den Rücken seines Sohnes, so daß dieser sich umdrehte, von der Wucht des haßerfüllten Blickes getroffen.
Sein Vater öffnete den Mund, und Jared sah die gähnende Wunde.
»Nein«, brachte Ted trotzdem keuchend hervor. »So nicht!« Er taumelte auf Jared zu. »Das ist nicht das Ende.« Flehend streckte er eine Hand nach seinem Sohn aus. »So nicht!«
Jared ging ihm einen Schritt entgegen, fast bereit, die Hand zu ergreifen, doch eine Sekunde, bevor ihre Finger sich berührt hätten, stieg eine Szene aus seinem Unterbewußtsein auf.
Nacht.
Er schlief in seinem Zimmer.
Plötzlich war er wach, ohne zu wissen, was ihn geweckt hatte.
Eine Stimme – die Stimme seines Vaters – rief seinen Namen.
Er sprang aus dem Bett und folgte ihr die Treppe hinab, durch das Eßzimmer, in den Keller.
Eine Tür.
Er öffnete sie.
Er sah seinen Vater, von dichten Nebelschwaden umhüllt. Ted streckte ihm eine Hand entgegen und flehte: »Hilf mir, Jared! Ich brauche deine Hilfe!«
Er ging durch den Nebel auf seinen Vater zu und reichte ihm die Hand. Sobald die eiskalten Finger zupackten, brach tiefe Verzweiflung über Jared herein.
Erfühlte sich allein und verlassen.
Von plötzlicher Furcht gepackt, wußte er, daß er zu keinem Widerstand fähig war, ganz egal, was sein Vater von ihm verlangen würde.
Sein Vater führte ihn durch den Nebel zu einem goldenen, mit Edelsteinen besetzten Altar, der von innen her zu leuchten schien. Ein Kreuz hing verkehrt herum über dem Altar, und davor schwebte ein unvorstellbar böses Gesicht.
Jareds Seele erschauerte. Er wollte sich abwenden, aber die Augen des Bösen hielten ihn fest. Es waren hungrige Augen, und noch bevor sein Vater etwas sagte, wußte Jared, worauf dieses Wesen es abgesehen hatte.
Und er wußte, daß er verloren war.
»Du bist mein Sohn und mein Erstgeborener«, hörte er seinen Vater sagen. »Du wirst mir gehorchen.«
Außerstande, sich seinem Vater zu widersetzen, blickte Jared zum Gesicht des Bösen empor.
»Ich gebe dir meinen Sohn«, hörte er seinen Vater sagen.
Das Gesicht lächelte, und dann hörte Jared eine Stimme, die von überall-und nirgendwoher zu kommen schien und jeden Winkel seines Geistes und seiner Seele durchdrang.
Jared lauschte der Stimme.
Er hatte keine andere Wahl.
»Du gehörst mir«, flüsterte die Stimme. »Dein Vater hat dich mir geschenkt, und jetzt gehörst du mir.«
Jared nickte.
»Du wirst mir dienen, mir allein. Du wirst mir eine Kathedrale bauen, und mir andere zuführen. Du wirst mich ernähren. Du wirst mich anbeten. Du wirst meine Feinde vernichten.« Die Stimme flüsterte weiter auf ihn ein, instruierte ihn, welche Schandtaten er zu begehen hatte, welche Blutopfer von ihm erwartet wurden.
Und dann, noch vor dem ersten Morgengrauen, kehrte er in sein Zimmer zurück, legte sich zu Bett und schlief wieder ein.
Als er wieder aufwachte, wußte er, daß es kein Traum gewesen war. Noch am selben Tag zog er in den Keller um und begann seinen Auftrag zu erfüllen.
Begann all das zu tun, was die Stimme des Bösen ihm befohlen hatte.
In seiner Machtlosigkeit konnte er nur nach Kim rufen, sie um Hilfe bitten, und sie war auch mehrere Male gekommen.
Sie hatte gesehen, was er tat, aber sie hatte es nicht verstanden und ihm deshalb nicht helfen können.
Bis heute.
Jared riß seine Finger von der Hand seines Vaters zurück und umklammerte das goldene Kreuz, das seine Zwillingsschwester ihm umgehängt hatte. Er spürte, daß seine Seele befreit aufatmete, daß Kälte und Einsamkeit, denen er wochenlang ausgesetzt gewesen war, allmählich von ihm wichen. Während das Böse seine Macht
Weitere Kostenlose Bücher