Kind der Hölle
Conways.
Er beobachtete, wie die ganze Familie das Haus betrat, und er harrte geduldig auf seinem Spähposten aus – als Jäger war er daran gewöhnt, sich stundenlang nicht von der Stelle zu rühren, um das Wild nicht zu verscheuchen. Er wartete, bis die fünf Conways das Haus verließen, ins Auto stiegen und davonfuhren. Doch während er dem Wagen nachblickte, wußte er, daß sie zurückkommen würden. Das sagte ihm sein Instinkt, der ihm erlaubte, Fallen an den richtigen Stellen aufzustellen, auch wenn es so dunkel war, daß man die Hand nicht vor Augen sehen konnte.
Sie würden zurückkommen und in das seit vierzig Jahren leerstehende Haus einziehen!
Und heute, beim Begräbnis, hatte er sie wiedergesehen. Natürlich hatte er weder die Kirche noch den Friedhof betreten, seine Mama hatte ihn vor Kirchen gewarnt, noch bevor er zur Schule gehen mußte, und gegen Friedhöfe hegte er von jeher eine Abneigung. Manchmal mußte er sie zwar aufsuchen, aber nur, wenn er etwas benötigte und wenn der Mond hoch am Himmel stand, in dessen silbrigem Schein alles ringsum aus Zinn zu bestehen schien – so wie der Becher, den Jakes Großmutter ihm hinterlassen hatte, und der immer auf dem Fenstersims über der Spüle in seiner Hütte stand. Obwohl er sich kaum an seine Großmutter erinnern konnte, dachte er jedesmal an sie, wenn er den Becher benutzte und beim Trinken durch den gläsernen Boden schaute.
Auf diese Weise kannst du sogar beim Trinken deine Feinde sehen, hatte seine Mama ihm erklärt. Deine Oma sagte immer, es sei wichtig, Feinde ständig im Auge zu behalten, damit sie dich nicht überrumpeln können.
Wenn seine Mama ihre Magie ausübte, hatte er einmal beobachtet, daß sie in den Becher sah, ohne daraus zu trinken. Er hatte gewußt, daß sie in dem Glasboden lesen konnte, was ihre Feinde gerade taten, ganz gleich, wo sie sich auch aufhalten mochten. Sie können sich nicht verstecken, Jake, hatte sie gesagt, nicht, solang du den Becher hast. Und wann immer Jake aus dem Zinnbecher trank, ließ er den Glasboden nicht aus den Augen, um mögliche Gefahren rechtzeitig erkennen zu können.
Doch er hatte durch das Glas hindurch nie irgendwelche Conways gesehen, und deshalb hatte er sich in den letzten Tagen einzureden versucht, daß sie vielleicht doch nicht zurückkehren würden. Aber als er heute am Friedhofszaun stand, waren sie alle da: der Mann half beim Tragen des Sarges, und die anderen folgten.
Während er von weitem beobachtete, wie die alte Frau beerdigt wurde, übte er die Magie seiner Mama aus, obwohl er ahnte, daß die Sache nicht klappen würde, weil ihm die nötigen Hilfsmittel fehlten. Immerhin schien die Frau seinen intensiven Blick zu spüren, denn sie schaute mehrmals direkt in seine Richtung, aber davon ließ er sich nicht einschüchtern, sondern harrte bis zum Ende des Begräbnisses im Schatten der Magnolie aus.
Dann war er auf Schleichpfaden in die Nähe des Hauses geeilt und hatte gesehen, daß die Conways einen Umzugswagen entluden und alles möglich in ihr neues Domizil schleppten. Sein Instinkt hatte ihn also doch nicht getrogen: Sie hatten die Absicht, in St. Albans zu bleiben.
Ich hätte das Haus in Brand stecken sollen, dachte er. Schon vor Jahren hätte ich es niederbrennen sollen.
Schließlich war er nach Hause gegangen und hatte dort die Dunkelheit abgewartet, bevor er zurückschlich, um sich die Dinge zu besorgen, die er benötigte, damit die Magie seiner Mama funktionierte.
Jake wußte, was er brauchte. Er wußte genau, was er tun mußte.
Seit die Nacht über St. Albans hereingebrochen war, lag er in der Nähe der Garage auf der Lauer, ohne sich zu bewegen. Stunde um Stunde verging, die Leute im Haus gingen zu Bett, aber er spürte, daß sie keinen Schlaf fanden oder von Alpträumen heimgesucht wurden.
Durch das Leben im Wald, wo er nachts auf die Jagd ging, war sein Gehör so geschärft, daß er die Katze, die vom Fensterbrett sprang, sofort hörte, obwohl ihre Pfoten fast lautlos auf der Erde landeten. Während sie das im Laufe von Jahrzehnten völlig verwilderte Grundstück zu erkunden begann, wartete Jake geduldig, mit angespannten Muskeln. Er wußte, daß sie sich bald in seine Richtung bewegen würde.
Vielleicht würde sie ihn sogar riechen.
Doch wenn er sich nicht rührte und keinen Laut von sich gab…
Ja!
Sie kam direkt auf ihn zu.
Jake hielt den Atem an, als die Katze wachsam stehenblieb, weil ihr sein Geruch in die Nase gestiegen war. Einen Moment lang
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