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Kind der Hölle

Kind der Hölle

Titel: Kind der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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nicht mehr willkommen, und deshalb kehrte sie ihm entschlossen den Rücken zu, bevor sie endlich einschlief.
    Für Ted waren es die dunklen Augen von Vater MacNeill, die ihn durchdringend aus der Dunkelheit musterten, und es war die Stimme des Priesters, deren Echo er in der Stille hörte. Ein Hotel? Nun, ich hoffe, daß Sie auf einen Kampf gefaßt sind. Doch es waren nicht so sehr die drohenden Worte, die Ted den Schlaf raubten – es waren die Blicke des Geistlichen. Als er freimütig erklärt hatte, keinesfalls jeden Sonntagmorgen die Messe zu besuchen und andächtig der Predigt zu lauschen, war in Vater MacNeills Augen für Sekunden ein Ausdruck aufgeblitzt, den Ted nur allzu gut kannte.
    Genauso hatte Frank Gilman ihn angesehen, als er ihm fristlos kündigte.
    Genauso hatte Tony ihn angesehen, als er die Bar verließ, um sich in Gilmans Büro zu begeben.
    Viele andere Leute hatten ihn mit solchen Blicken bedacht.
    All die Männer, die ihn gefeuert hatten.
    All die anderen, die sich weigerten, ihn einzustellen.
    All die Barkeeper, die ihm Drinks servierten.
    All die Menschen, die er für Freunde gehalten hatte.
    Sogar sein eigener Vater.
    Sogar sein eigener Sohn.
    Es war ein Blick, den er schon als Junge zu deuten vermochte, ein Blick, der besagte, daß er nicht dazugehörte, daß man ihn absichtlich von allem ausschloß, was alle anderen wußten und gemeinsam hatten.
    In den ersten Ehejahren hatte er geglaubt, Janet wäre eine Ausnahme. Anfangs verstellte sie sich perfekt, doch im Laufe der Zeit ertappte er auch sie immer häufiger bei diesen Blicken, obwohl sie sich Mühe gab, sie zu verbergen.
    Überhebliche Blicke.
    Kein Verständnis, kein Mitleid, nicht einmal Sympathie.
    Nur Überheblichkeit. Und noch etwas anderes.
    Bisher hatte er es sich nie eingestehen wollen, doch jetzt, in der Stille der Nacht, wurde ihm klar, was er am Nachmittag so deutlich in den Augen des Priesters gelesen hatte.
    Und nicht nur in den Augen des Priesters – auch in den Augen aller anderen Menschen.
    Verachtung.
    Sämtliche Augenpaare hatten von jeher gesagt: Du gehörst nicht zu uns. Du bist nicht unsereiner. Wir wollen dich nicht hier haben.
    So war es gewesen, solange er sich zurückerinnern konnte – seit seine Mutter ihn als Baby im Stich gelassen hatte, seit sein Vater gestorben war, als er noch zur Schule ging.
    Alle Arbeitgeber hatten billige Vorwände gefunden, um ihn zu entlassen.
    Nie hatte ihn jemand wirklich akzeptiert.
    Er hatte nie ein Gefühl der Zugehörigkeit gekannt.
    Doch jetzt – in diesem Haus – fühlte er sich endlich willkommen. Dieses Haus hatte seinem Onkel gehört, seinem Großvater und Urgroßvater. Und jetzt gehörte es ihm!
    Er war nicht länger ausgeschlossen.
    Eine ohnmächtige Wut über die vielen erlittenen Ungerechtigkeiten brodelte in Ted Conway, und während er in dem totenstillen Haus wach lag – in seinem Haus -, schwor er sich, daß das nie wieder passieren würde.
    Diesmal würde er es allen zeigen.
    Er würde diesen alten Bau restaurieren – schöner, als der Besitz ursprünglich gewesen war! Er würde sein eigenes Hotel haben!
    Niemand würde ihn daran hindern, und es würde ein Riesenerfolg sein. Und dann würde kein Mensch, weder der Priester noch Janet, weder sein Sohn noch sonst jemand, es jemals wieder wagen, ihn verächtlich anzusehen.
    Ted zog im Dunkeln die Nachttischschublade auf, und seine Finger schlössen sich um die Halbliterflasche Bourbon, die er am Nachmittag dort versteckt hatte.
    In der Stille der Nacht öffnete er sie und führte sie an seine Lippen.
    Ich werde es ihnen zeigen, schwor er sich wieder, während der hochprozentige Alkohol durch seine Kehle rann, ich werde es ihnen allen zeigen!
    Es waren die Augen von Luke Roberts, die Kim in dieser Nacht wach hielten, denn jedesmal, wenn sie die Lider schloß, sah sie seinen entsetzten, anklagenden Blick.
    Und in der Stille, die mit der Dunkelheit einherging, hörte sie seine Worte: Wenn es dieses Baby nicht gegeben hätte, könnte man es nachts nicht weinen hören! Und warum sollte es weinen, wenn seine Mutter es nicht umgebracht hätte?
    Konnte etwas Wahres daran sein? Nein, natürlich nicht. Luke hatte ihr nur Angst einjagen wollen. Trotzdem spitzte sie die Ohren …
    Wozu? Das wußte sie selbst nicht.
    Als die Nacht sich immer mehr in die Länge zog und die Stille immer beklemmender wurde, sehnte sie sich nach all den Geräuschen, die sie stets in den Schlaf gelullt hatten: zirpende Grillen, quakende Frösche.

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