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Kind der Hölle

Kind der Hölle

Titel: Kind der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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Während er seine Hose anzog, wurde leise an die Tür der Hütte gekratzt: Auch seine beiden gelben Hunde spürten, daß es Zeit wurde: »Eile mit Weile!« rief er, und beim Klang seiner Stimme beruhigten die Tiere sich sofort. Er schlüpfte in ein total verblichenes kariertes Hemd mit ausgefransten Ärmeln, zündet eine Kerze an und ging dann zur Tür und öffnete sie einen Spalt. Die Hunde, die so mager waren, daß ihre Rippen sich unter dem räudigen Fell abzeichneten, huschten in den Raum und schnupperten begierig, ob ihr Herr irgendein Futter für sie hatte. »Später«, vertröstete Jake die hungrigen Tiere und schloß die Tür, um die Dunkelheit draußen zu lassen.
    Die Hunde ließen sich auf den Boden fallen und legten ihre Köpfe auf ihre Vorderpfoten. Sie beobachteten Jake aus blutunterlaufenen Augen, die im Kerzenschein wie glühende Kohlen aussahen. Als er vier weitere Kerzen anzündete und in einer Reihe auf die zerschrammte Fichtenplatte neben der Spüle stellte, spannten die Tiere ihre Muskeln an, und der Kehle des kleineren Hundes entrang sich ein schwaches Winseln. »Still!« befahl Jake. Das Tier duckte sich ängstlich und gab keinen Laut mehr von sich.
    Vom Rauch der fünf Kerzen eingehüllt, ging Jake zu der Truhe, die in einer Ecke stand – der Truhe seiner Mutter – und öffnete sie. Zuoberst befand sich ein flaches Tablett, sechsfach unterteilt, das mit verschiedenen Döschen und Phiolen gefüllt war. Unter dem Tablett lag das Altartuch seiner Mama, aber er hütete sich davor, es zu berühren, solange er nicht wußte, welche ihrer Zaubermittel er verwenden mußte.
    Die Magie beginnt zu wirken, sobald du es entfaltest, hatte sie ihm erklärt, als er noch ein Junge war. Deshalb mußt du gut vorbereitet sein. Du mußt genau wissen, was du tun willst, und was du dazu benötigst.
    Aber woher weißt du, was du brauchst? Hatte Jake erstaunt gefragt, während er seine Mutter beobachtete, die mit geschlossenen Augen ihre Hände über dem Tablett kreisen ließ, bevor sie zielsicher ihre Auswahl traf.
    Die Magie sagt es mir, hatte sie geantwortet.
    Jetzt kniete Jake vor der Truhe nieder und tat es seiner Mutter gleich: Er streckte seine Hände dicht über dem Tablett aus, schloß die Augen und hob das Gesicht zur Decke empor.
    »Hilf mir«, bat er. »Hilf mir, Mama!«
    Hinter ihm hoben die Hunde ihre Köpfe und sprangen auf. Mit gesträubtem Nackenfell streckten beide eine Vorderpfote in die Luft. Ihre Schwänze bildeten eine Gerade mit ihren Körpern. In dieser Haltung verharrten sie regungslos, während Jake seine Hände über das Tablett in der offenen Truhe hielt.
    Nach einer Weile begann sich seine Rechte über den Gefäßen zu bewegen, und was zunächst wie ein zufälliges Hin und Her aussah, ergab bald ein bestimmtes Muster, denn seine Finger verharrten immer wieder für kurze Zeit über denselben fünf Behältern.
    Mit geschlossenen Augen, das Gesicht der Decke zugewandt, nahm er diese Gefäße vom Tablett.
    Angespannt beobachteten die Hunde das Tun ihres Herrn.
    Erst als alle fünf Gegenstände auf dem Boden neben der Truhe lagen, öffnete Jake die Augen. Behutsam, fast ehrfürchtig hob er das Tablett hoch und stellte es auf seinem Bett ab. Dann griff er mit zitternden Händen nach dem Altartuch seiner Mama, das er noch nie berührt, geschweige denn benutzt hatte. Sogar jetzt, im flackernden Kerzenlicht zögerte er sekundenlang.
    Das dunkle Bündel, das mit violetten Bändern verschnürt war, die sich kaum vom schwarzen Stoff abhoben, schien zu pulsieren, so als wäre es lebendig und wollte sich von seinen Fesseln befreien.
    Die Magie.
    Die Magie seiner Mutter.
    Mit bebenden Fingern nahm er das Bündel aus der Truhe, trug es zum Tisch, knotete vorsichtig die Bänder auf, glättete sie und rollte sie zusammen, so wie seine Mutter es immer getan hatte. Aus jahrzehntelanger Gefangenschaft erlöst, fiel ein kunstvoll bestickter Zipfel des Altartuchs in Jakes Hände – eine stumme Aufforderung, es vollends zu entfalten. Der weiche tintenschwarze Samt schien das Kerzenlicht ausgehungert zu verschlucken. Jake faßte sich plötzlich ein Herz und schüttelte das Bündel mit ausgebreiteten Armen, bis das geschmeidige Material den Tisch in üppigen Falten umhüllte – ein dunkler Mantel, vergleichbar der Finsternis, die sich schon vor Stunden über die Hütte gesenkt hatte. Als Jake das Tuch auf der Tischplatte glattstrich, verschwanden Knitterfalten und Stockflecken, und die Ecken reichten fast bis zum

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