Kind der Hölle
an der Plastikplombe einer vollen Wodkaflasche herumfummelte.
War es die zweite oder dritte?
Er konnte sich nicht genau erinnern, dachte aber, daß es erst die zweite sein mußte, denn wenn es die dritte wäre, würde er jetzt schon fest schlafen.
Das war jedoch nicht der Fall.
Welche Stunde schlug die Uhr? Den Flaschenhals fest in der Hand, zählte Ted automatisch mit.
… zehn … elf … zwölf … dreizehn.
Dreizehn?
Was, zum Teufel…? Dreizehn Uhr gab es doch gar nicht, daß wußte jedes Kind!
Ted brach die Plombe auf, öffnete dann die Flasche und trank einen herzhaften Schluck. Die vertraute Wärme des Alkohols breitete sich tröstlich in seinem Körper aus. Und Janets Worte, die Worte, die seit Stunden in seinem Kopf dröhnten, waren für Sekunden nicht mehr zu hören.
Sie hatte es nicht ernst gemeint! Sie konnte es gar nicht ernst gemeint haben! Verdammt, was würde sie denn ohne ihn machen? Außerdem hatte er das alles ja schon so oft gehört. Jammerte sie nicht ständig, daß sie dieses Leben nicht länger ertragen könnte, daß sie ihn verlassen würde, wenn er das Trinken nicht aufgab? Aber sie hatte es nie getan und würde es auch nie tun. Sie liebte ihn.
Sie konnte ohne ihn nicht leben.
Doch was war mit der verdammten Uhr los? Warum ging sie überhaupt? Er konnte sich nicht erinnern, sie aufgezogen zu haben. Natürlich war es möglich, daß Janet oder die Zwillinge das erledigt hatten, aber dann hätte er sie doch schon früher schlagen hören müssen.
Welche Uhr setzte sich aus heiterem Himmel in Bewegung und schlug eine Stunde, die es nicht gab.
Ted rappelte sich mühsam vom Sofa hoch, torkelte vom Hobbyraum ins Wohnzimmer und starrte diese merkwürdige Standuhr an, deren Gehäuse mit kunstvollem Schnitzwerk verziert war. Ihn interessierte aber nur das Zifferblatt – eine große Messingscheibe mit Mondsymbolen. Der Sekundenzeiger rückte vor, sobald das Pendel ausschwang. Das war ganz normal – und doch stimmte etwas nicht!
Sein umnebeltes Hirn hatte Mühe, das richtige Wort zu finden.
Die Uhr war … war …
Sauber.
Gepflegt.
Bei Wertgegenständen eigentlich nicht verwunderlich.
Aber hier schon! Auf einen Bücherschrank neben der Uhr gestützt, schaute Ted sich um, und trotz seines Vollrausches bemerkte er die zerrissene Tapete, die abblätternde Farbe, die Flecken auf dem Teppich. Verdammt, was hatte Janet eigentlich den ganzen Tag über gemacht? War er der einzige, der schwer arbeitete?
Seine Augen schweiften wieder zu der Standuhr.
Sie zeigte wenige Minuten nach Mitternacht an.
Nicht dreizehn Uhr!
Wie töricht von ihm zu glauben, es könnte wirklich dreizehn Uhr sein! Er hatte sich einfach verzählt. Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es ihm, die Glastür des Gehäuses zu öffnen.
Er rückte den Minutenzeiger auf die Drei vor.
Doch anstatt die Viertelstunde durch einen einzigen Schlag anzuzeigen, dröhnte die Uhr weiter.
Ted zählte wieder mit.
Und wieder schlug sie dreizehnmal.
Er wich einige Schritte zurück und starrte wie hypnotisiert auf das Zifferblatt.
Die Zeiger bewegten sich jetzt von allein, und schon wieder begann die Uhr zu schlagen.
Ein Trick! Es mußte sich um irgendeinen Trick handeln.
Die Zeiger konnten sich unmöglich so schnell bewegen, wie sie es zu tun schienen, das war völlig ausgeschlossen.
Der Minutenzeiger erreichte die Neun, und wieder schlug die Uhr dreizehnmal.
Unaufhaltsam näherte der Zeiger sich der Zwölf, und Ted hielt den Atem an. Während die ersten tiefen Akkorde im Haus widerhallten – eins, zwei, drei –, fiel ihm eine weitere Absonderlichkeit auf.
Die Uhr zeigte immer noch Mitternacht an.
Dabei hatte er doch mit eigenen Augen gesehen, wie der Minutenzeiger eine komplette Umdrehung vollzogen hatte.
… fünf, sechs, sieben …
Kaputt! Das war die logische Erklärung. Das alte Ding war einfach kaputt!
… zehn, elf, zwölf …
Ted wartete nervös, mit angehaltenem Atem.
Stille.
Erleichtert holte er tief Luft, kehrte der Uhr den Rücken zu und führte die Wodkaflasche an seine Lippen.
Die Uhr begann wieder zu schlagen.
Die Flasche entglitt seiner Hand. »Janet!« murmelte er ungewollt. »Janet, hilf mir!«
Ohne abzuwarten, wie oft die Uhr diesmal schlagen würde, hob er hastig die Flasche auf, die Hälfte des Inhalts war schon im Teppich versickert, stolperte aus dem Zimmer und schloß die schwere Flügeltür. Er durchquerte die Halle, flüchtete ins Eßzimmer und warf auch hier die Tür hinter sich
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