Kind der Hölle
Boden.
In der Mitte war ein goldener Stern gestickt – fünf Dreiecke, deren Grundflächen ein regelmäßiges Fünfeck ergaben. Auf jede Zacke dieses Pentagramms stellte Jake eine Kerze, und als die letzte an der richtigen Stelle stand, erstrahlte sie so hell, daß sie mit ihrem Licht sogar die Schatten in den hintersten Ecken der Hütte vertrieben. Doch gleich darauf wurde es wieder schwächer, so als hätte ein unsichtbares Wesen am Docht einer Petroleumlampe gedreht.
Gleichzeitig hatte das Altartuch sich irgendwie verändert. Das Pentagramm schien sich geöffnet zu haben, und Jake hatte den Eindruck, in einen bodenlosen Abgrund zu blicken.
Ihm war schwindelig, und er befürchtete, in diese dunkle Tiefe zu stürzen und von ihr verschlungen zu werden – so wie das Feuer, das er vor vierzig Jahren beobachtet hatte, seine Mama verschlungen hatte.
Die beiden Hunde knurrten vor Unbehagen, doch als Jake sich vom Altar abwandte, waren sie still.
Jake nahm das erste der fünf Gefäße, die er auf dem Tablett ausgewählt hatte, zur Hand, schraubte den Deckel des Döschens ab und rieb eine Prise vom zermahlenen Hauer eines Keilers in das erste Dreieck des Pentagramms.
Die Kerzenflamme an der Zacke dieses Dreiecks loderte hoch auf, und Jake murmelte ein Gebet: »Möge dein Bauch aufreißen, und mögen deine Eingeweide hervorquellen!«
Aus der zweiten Dose nahm er den gebogenen Dorn einer Wildrose. »Möge dir die Haut abgezogen werden, und möge das Blut in Strömen aus deinen Wunden fließen!« Die zweite Kerze loderte auf.
Jake entstöpselte eine der beiden Phiolen, und der Gestank von Stinktieröl breitete sich im Zimmer aus. Während er einen Tropfen auf das dritte Dreieck fallen ließ, sprach er eine weitere Beschwörungsformel: »Mögen deine Lungen verbrennen, und möge Eiter deine Kehle verstopfen!«
Ins vierte Dreieck legte er den abgebrochenen Stachel eines Stachelschweins: »Mögen dir die Augen ausgestochen werden, und möge ewige Finsternis dich umgeben!«
Schließlich öffnete er die zweite Phiole und gab einen Tropfen der klaren Flüssigkeit auf das fünfte Dreieck. Die Säure fraß sich in den Samt, die fünfte Kerze loderte auf, und Jake betete: »Möge dein Fleisch verfaulen, und mögen deine Knochen von Hunden angenagt werden!«
Die beiden gelben Hunde schlichen näher heran, so als erwarteten sie ein Festmahl.
Wieder erhellten die fünf Kerzenflammen die ganze Hütte mit einem warmen goldenen Licht. Jake ging in die hintere Ecke und griff nach einem der ausgefransten Säcke, in denen er seine Jagdbeute transportierte. Doch diesmal enthielt der Sack weder ein Wiesel noch einen Biber, weder einen Otter noch eine Beutelratte.
Vorsichtig, geradezu respektvoll zog er seinen Fang der vergangenen Nacht aus dem Sack: Kimberley Conways tote Katze. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und sie schien Jake anzustarren, als er sie in die Mitte des Pentagramms legte.
Auf dem Regal über der Spüle lag ein scharfes Messer, dessen Klinge vom häufigen Schleifen sehr dünn geworden war. Mit diesem Messer machte Jake sich im flackernden Kerzenschein an die Arbeit. Eine halbe Stunde später war sie vollbracht.
Er hatte die Eingeweide der Katze in vier gleich große Teile zerlegt und für kurze Zeit in die Flammen von vier Kerzen gehalten. Das Katzenfell, von dem er jede Fleischfaser abgeschabt hatte, hielt er über die fünfte Flamme, die im Nu ein Loch hineinsengte, genauso schnell, wie die Säure zuvor den Samt zerfressen hatte.
Nachdem das Ritual vollendet war, verstaute Jake das Katzenfell samt Kopf wieder im Sack und blies die Kerzen aus. Der Rauch in der Hütte löste sich allmählich auf, und auch der Stinktiergestank verflüchtigte sich. Das weiße Pulver des Keilerzahns verschwand im Samtflor, ebenso wie der Rosendorn und der Stachelschweinstachel. Das Säureloch war nicht mehr zu sehen, und als Jake das Altartuch vom Tisch nahm, fiel es wie von allein in den früheren Faltenwurf.
Die ferne Kirchenglocke schlug Mitternacht, während er das Tuch mit den violetten Bändern verschnürte und in die Truhe seiner Mutter zurücklegte. Nachdem er auch das Tablett verstaut hatte, schloß er den Deckel.
Bevor Jake Cumerland mit dem Sack in der Hand seine Hütte verließ, fütterte er seine beiden gelben Hunde, die gierig über das Fleisch der Katze herfielen und mit ihren mächtigen Kiefern Knochen und Sehnen zermalmten.
In einer Ecke des riesigen Wohnzimmers begann die Standuhr zu schlagen, als Ted gerade
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