Kind der Hölle
bleischwarz, weil dunkle Wolken die Sterne verhüllten, und in dieser Finsternis glaubte sie all jene Mächte zu sehen, die sich gegen sie verbündet zu haben schienen.
Den Priester, dessen warnende Worte ihr jetzt, im Dunkeln, viel bedrohlicher vorkamen als auf dem sonnigen Friedhof.
Jake Cumberland, der Coras Begräbnis außerhalb des Friedhofes mit verfolgt hatte.
All jene Leute, von denen Ted ihr beim Mittagessen berichtet hatte; Leute, die aus irgendwelchen Gründen keine Conways in St. Albans haben wollten und keinen Hehl aus ihren Gefühlen machten.
Schwester Clarence, die Kim und Jared am ersten Schultag gedemütigt hatte.
Was hielt sie denn hier schon?
Dieses Haus, in dem sie kostenlos wohnen konnte? Das Geld, das es Ted ermöglichen würde, noch mehr als bisher zu trinken?
Warum hatte sie geglaubt, daß er das Saufen jetzt wirklich aufgeben wollte? Sie war genau so töricht wie all jene Frauen, die in den Fernseh-Talkshows berichteten, daß sie bei ihren Männern blieben, obwohl sie geschlagen, betrogen und gedemütigt wurden. Worin unterschied sie sich von ihnen?
Gewiß, Ted schlug sie nicht, und er betrog sie nicht. Na und?
Dafür belog er sie ständig – seit vielen Jahren. Warum hatte sie ihm diesmal geglaubt? Töricht, töricht, töricht! Aber jetzt war endgültig Schluß damit. Sie schloß energisch die Hintertür, um die Dunkelheit auszusperren, und ihre Stimmung hob sich, als sie das Erdgeschoß nach Ted abzusuchen begann. Die Erleichterung, die sie verspürte, zeigte ihr noch deutlicher als ihr Verstand, daß sie endlich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ihr blieb gar keine andere Wahl, denn wenn sie und die Kinder hierblieben, würde ihnen etwas Schreckliches zustoßen!
Ihnen allen!
Sie fand ihren Mann in dem kleinen Hobbyraum hinter dem Wohnzimmer. Er lag auf dem abgewetzten Sofa, das sie aus Shreveport mitgebracht hatten, ein Glas in der Hand, eine halbleere Flasche Wodka neben sich auf dem Fußboden.
»Ich verlasse dich morgen«, sagte Janet ohne Umschweife. »Die Kinder, Scout und Muffin, falls sie bis dahin zurückkommt, nehme ich mit, ebenso das Auto!«
Ted taumelte auf die Beine und machte einen Schritt auf sie zu, verlor dann aber das Gleichgewicht und mußte sich am Kaminsims festhalten, um nicht hinzufallen. »Du gehst nirgendwohin!« lallte er mit schwerer Zunge.
Janet war nicht bereit, sich auf einen Streit einzulassen. Nachdem sie sich endlich zu diesem Entschluß durchgerungen hatte, fühlte sie sich so ausgeglichen wie seit Jahren nicht mehr. »Es ist vorbei, Ted.« Ihre ruhige Stimme ließ ihn aufhorchen. »Ich habe deine unzähligen Lügen und gebrochenen Versprechen endgültig satt!« Sie musterte das Zimmer, das ein Abbild ihres Lebens zu sein schien. In den letzten Tagen hatte sie das Haus mit Teds Augen betrachtet und sich von seinen Zukunftsvisionen einlullen lassen. Doch jetzt sah sie die harte Realität: abblätternde Tapeten, fleckiger Verputz, ein schmutziger, beschädigter Kronleuchter … Und alle anderen Räume waren in ähnlichem Zustand! »Schau dich doch um«, fuhr sie fort. »Dieses Haus ist wie unsere Ehe – durch und durch verrottet! Man hätte es schon vor Jahren abreißen sollen!« Teds Hand ballte sich zur Faust, aber Janet ließ sich auch davon nicht einschüchtern. »Verschon mich mit irgendwelchen Drohgebärden und mit leeren Versprechen! Beides nützt nichts mehr.« Sie wandte sich zum Gehen, drehte sich aber auf der Schwelle noch einmal um. »Die Mühe des Treppensteigens kannst du dir sparen, denn die Schlafzimmertür wird verriegelt sein!«
Janet durchquerte das Wohnzimmer und die Halle. Erst auf halber Treppe wurde sie von Teds Stimme überrascht.
»Du wirst mich nicht verlassen!« brüllte er. »Du wirst mich nie verlassen!«
Seine unbändige Wut machte ihre Ruhe zunichte. Sie hetzte die restliche Treppe hinauf, flüchtete ins Schlafzimmer und schob den Riegel vor. Die dicke Eichentür würde Ted fernhalten, aber vor seiner Stimme war sie auch hier nicht geschützt.
»Hast du mich verstanden?« tobte er im Erdgeschoß, und das Echo hallte wie Donnergrollen im ganzen Haus wider. »Du wirst mich nie verlassen!«
12. Kapitel
Es wird Zeit.
Obwohl Jake Cumberland seit Sonnenuntergang fest geschlafen hatte, sagte ihm eine innere Stimme, daß die Zeit gekommen war. Sofort hellwach, warf er die zerlumpte Decke beiseite, die ihn seit seiner Kindheit wärmte, und schwang seine Füße geschmeidig auf den nackten Holzboden.
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