Kind der Hölle
größte Problem eines Bürgermeisters – ob in St. Albans oder anderswo – bestand darin, daß er zu allen Leuten nett sein mußte, auch wenn er sie nicht ausstehen konnte. Phil Engstrom, der seit zehn Jahren im Amt war und es noch mindestens zwanzig Jahre ausüben wollte, mußte bei dem Besucher, der ihn an diesem Morgen gegenübersaß, ganz besondere Vorsicht walten lassen. Vater MacNeill war nicht nur ein Wähler – der Priester beteuerte freilich immer wieder des öfteren, die Kirche stehe immer über der Politik -, sondern auch Phils Beichtvater. Der besondere Nachdruck, den der Kleriker auf das Wörtchen immer legte, sollte den Bürgermeister wohl auf seine Forderung hinweisen, die Kirche habe sich nicht in Lokalpolitik einzumischen. Die Tatsache, daß Phil keine großen Sympathien für MacNeill hegte, machte alles besonders kompliziert, aber wenigstens ging es an diesem Morgen nicht um sein Seelenheil. Seine Abneigung dem Priester gegenüber hatte dazu geführt, daß er im Beichtstuhl schon seit Jahren so manche Sünde verheimlichte, und weil er in letzter Zeit auch noch häufig die Sonntagsmesse versäumte, um auf dem neuen Golfplatz in Valhalla zu glänzen, war er vermutlich schon zu ewigem Fegefeuer oder noch Schlimmerem verdammt. Trotzdem setzte Engstrom eine interessierte Miene auf, als der Geistliche nach zehn Minuten Smalltalk endlich zum Thema kam.
»Das alte Haus der Conways scheint mir einfach nicht der geeignete Ort für ein Hotel zu sein«, sagte MacNeill. »Es ist eine reine Wohngegend, und wir schaffen einen gefährlichen Präzedenzfall, wenn wir dort einen Gewerbebetrieb genehmigen.«
Engstrom lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und faltete die Hände über dem Bauch, der wegen der Kochkünste seiner Frau leider beträchtlich an Umfang zugenommen hatte. »Ich befürchte, daß ich Ihrer Begründung nicht ganz folgen kann.« Er übertrieb die weiche, gedehnte Sprechweise des Südens und setzte eine leicht verwirrte Miene auf, um seinen Worten jede Schärfe zu nehmen. »Mir persönlich scheint es eine gute Idee zu sein, dieses schöne alte Haus zu renovieren. Es ist doch eine Schande, daß es allmählich verfällt und von Kletterpflanzen überwuchert wird, finden Sie nicht auch? Außerdem steht es ja ganz am Ende der Straße, ziemlich weitab von allen anderen Häusern, so daß die Nachbarn durch ein Hotel nicht gestört würden. Und die Stadt könnte finanziell davon profitieren.« Über das Gesicht des Priesters huschte einen Ausdruck, den Engstrom nicht zu deuten vermochte. »Sollte es etwas geben, wovon ich nichts weiß, bin ich natürlich gern bereit, Ihnen aufmerksam zuzuhören.« Er lächelte MacNeill zu. »So wie ja auch Sie mich immer geduldig anhören, wenn ich wieder mal nicht der Mann war, der ich gern wäre, stimmt’s?«
Der Kleriker erwiderte sein Lächeln, aber ohne jede Herzlichkeit. »Es ist in der Tat ein wunderschönes altes Haus«, gab er zu, aber seine Stimme warnte den Bürgermeister, daß eine Einschränkung folgen würde. »Ich bin mir nicht sicher, ob die Conways zu den Menschen gehören, die wir unterstützen sollten.«
Aha, dachte Engstrom, jetzt kommen wir endlich zum Kernpunkt. »Warum denn nicht? Wissen Sie Näheres über diese Leute?«
Vater MacNeill schürzte die Lippen und legte seine Stirn in Falten. Dies war ein sicheres Anzeichen dafür, daß er den Bürgermeister ins Vertrauen ziehen wollte. Seine Augen schweiften durch das Amtszimmer, so als suchte er nach einem unsichtbaren Lauscher, dann beugte er sich im Sessel vor. »Ich kann mich doch auf Ihre Verschwiegenheit verlassen?«
Der Bürgermeister griff das Stichwort begierig auf. »Mein Büro unterscheidet sich kaum von Ihrem Beichtstuhl«, versicherte er. »Sie wären überrascht, wenn Sie wüßten, was ich hier schon alles zu hören bekommen habe. Und ich kann reinen Gewissens sagen, daß es in St. Albans keine Menschenseele gibt, die bedauern müßte, sich mir anvertraut zu haben.«
Der Geistliche schien immer noch zu zögern, aber Phil vermutete eher, daß Vater MacNeill nur überlegte, wieviel Gift er in den Brunnen streuen sollte. »Ted Conway ist …, er ist böse«, gab er schließlich von sich. »Wann immer männliche Conways in dieser Stadt lebten, gab es große Probleme.« In den nächsten fünf Minuten ließ er sich so ausführlich über George Conways Selbstmord aus, als hätte Engstrom diese alte Geschichte nicht schon tausendmal gehört. »Als geistlicher Führer dieser
Weitere Kostenlose Bücher