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Kind der Hölle

Kind der Hölle

Titel: Kind der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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Telefon auf dem Nachttisch. Wie oft hatte sie das schon gemacht? Wie oft hatte sie schon bei der Polizei, in Krankenhäusern und sogar im Leichenschauhaus angerufen, wenn sie ihren Mann suchte.
    Unzählige Male!
    Erst als sie wählen wollte, fiel ihr ein, daß das Telefon noch nicht angeschlossen war. Der Mann von der Telefongesellschaft sollte heute kommen.
    Am Vormittag oder am Nachmittag?
    Sie konnte sich nicht daran erinnern.
    Und es war ihr im Grund auch egal.
    Bring die Sache hinter dich, redete sie sich selbst gut zu Zieh dich an, mach Frühstück, schick die Zwillinge zur Schule und bereite alles vor. Ted wird zurückkommen. Das tut er doch immer. Und sobald er hier ist…
    Sie würde bis dahin fertig sein, mit gepackten Koffern für sich und die Kinder, sie würde in den Wagen steigen, Molly und Scout auf den Rücksitz setzen, Jared und Kim von der Schule abholen und mit ihrer Familie diese Stadt verlassen.
    Janet schlüpfte in ihren Morgenrock, nahm Molly – die sich schläfrig die Augen rieb – aus ihrem Bettchen, entriegelte die Schlafzimmertür und trug ihre jüngste Tochter in die Küche hinab. Kim hatte schon Kaffee gemacht und holte gerade Milch und Cornflakes aus dem Kühlschrank.
    Aber Jared, der normalerweise noch früher als Kim aufstand, war noch nicht da.
    »Wo bleibt denn dein Bruder?« fragte sie erstaunt.
    Kim zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, der schläft noch.« Ihre gleichgültige Stimme war beredter als Worte.
    Sie haben alles gehört, dachte Janet. Beide haben gestern nacht alles gehört! »Ihr wißt wohl schon, daß ich beschlossen habe, euren Vater zu verlassen.«
    Kim drehte sich nach ihr um. »Du meinst… wir kehren nach Shreveport zurück?«
    Nach kurzem Zögern nickte Janet. Erst jetzt, nachdem ihre Tochter es laut ausgesprochen hatte, wußte sie, daß es diesmal wirklich ernst wurde, und obwohl sie sich das Weinen verbeißen wollte, liefen ihr Tränen über die Wangen. »Ich kann es einfach nicht mehr ertragen«, schluchzte sie leise. »Und es ist auch für dich und Jared unzumutbar. Ich weiß noch nicht, was wir machen werden, ich weiß nur, daß es so wie bisher nicht weitergeht. Ich …«
    Sie sank auf einen Küchenstuhl, und Molly stimmte in ihr Weinen ein.
    Kim nahm ihrer Mutter die Kleine ab, die sich sofort beruhigte. »Mach dir keine Sorgen, Mom! Gemeinsam schaffen wir das schon. Jared und ich können uns Nebenjobs besorgen und …«
    Sie verstummte abrupt, und Janet bemerkte, daß jemand die Küche betreten hatte. Nein, flehte sie still, laß es nicht Ted sein! Nicht jetzt. Gib mir noch ein bißchen Zeit.
    Als sie aufschaute, sah sie Jared im Türrahmen stehen. Er hatte seine abgetragene Jeansjacke lässig über eine Schulter geworfen und fixierte seine Schwester mit schiefgelegtem Kopf.
    »Was soll das heißen, daß wir uns Nebenjobs besorgen werden?«
    Janet öffnete den Mund zu einer Erklärung, doch Kim kam ihr zuvor. »Mom sagt, wir würden nach Shreveport zurückkehren. Seit gestern abend …«
    »Ach ja?« fiel Jared ihr ins Wort. »Wer’s glaubt, wird selig!« Er verdrehte spöttisch die Augen und machte auf dem Absatz kehrt. »Wir sehen uns in der Schule.«
    Er verschwand, bevor Janet und Kim etwas sagen konnten, und die Vordertür fiel laut ins Schloß. Vor Schrecken begann Molly wieder zu weinen, und Janet wurde erneut von dem Aufruhr widerstreitender Gefühle überwältigt, der seit dem Aufwachen in ihrem Innern tobte. »O Gott«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme, »es tut mir so leid … so schrecklich leid … Wie konnte ich euch beiden das nur so lange antun?« Schluchzend vergrub sie ihr Gesicht in den Händen.
    »Alles wird gut werden«, hörte sie ihre Tochter tröstend sagen, und sie spürte Kims Hand auf ihrer Schulter. »Sobald wir dieses Haus verlassen haben, wird alles in Ordnung werden.«
    Nachdem sie die Küche aufgeräumt hatte, machte Kim sich eine Viertelstunde später auf den Weg zur Schule. In sorgenvolle Gedanken vertieft, registrierte sie erst nach einiger Zeit, daß etwas anders war als sonst. Sie hatte noch nie im Leben einen Schulweg allein zurückgelegt. Immer war Jared bei ihr gewesen!
    Heute nicht.
    Was aber noch viel schlimmer war: Heute morgen konnte sie ihren Zwillingsbruder nicht einmal in jenem seltsamen Winkel ihres Geistes aufspüren, wo er sonst immer präsent war. Ihr besonderer Kontakt schien unterbrochen zu sein. Heute war sie ganz auf sich allein gestellt. Kim fühlte sich einsam.

15. Kapitel

    Das

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