Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kind der Hölle

Kind der Hölle

Titel: Kind der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
Vom Netzwerk:
hatte die Zahlenkombination der alten Schule benutzt! Während ihre Finger erneut an der Scheibe herumfummelten, spürte sie, daß jemand hinter ihr stand.
    Jemand, der sie nervös machte. Sie versuchte, sich auf die Kombination zu konzentrieren, wußte aber nach der ersten Zahl nicht weiter.
    Wie viele Umdrehungen mußte sie machen? Zwei oder drei?
    Und bei welcher Zahl mußte sie stoppen? Bei der 26?
    Oder bei der 28?
    Sie fing von vorne an, aber ihre Nackenhaare sträubten sich, denn der Unbekannte war noch nähergekommen.
    Was wollte er von ihr?
    Er stand jetzt so dicht hinter ihr, daß sie ihn atmen hören konnte.
    Gleich würde er sie berühren!
    Bei der Vorstellung, daß seine Finger nach ihr greifen könnten, bekam sie eine Gänsehaut. Außerstande, sich länger zu beherrschen, wirbelte sie auf dem Absatz herum, bereit zur offenen Konfrontation. »Was, zum Teufel …« Sie brachte ihren Satz nicht zu Ende, denn es war Jared, der vor ihr stand. »Mein Gott!« Erleichtert lehnte sie sich an die Schließfächer. »Du hast mich erschreckt! Warum hast du dich angeschlichen, ohne ein Wort zu sagen?«
    Ihr Zwillingsbruder schaute sich unruhig nach allen Seiten um. Suchte er jemanden? Kim sah auf dem Korridor mehrere bekannte Gesichter, und einigen konnte sie sogar schon Namen zuordnen. Aber warum sollte Jared sich vor harmlosen Mitschülern fürchten? »Hältst du nach jemandem Ausschau?« fragte sie verwundert.
    Er runzelte die Stirn. »Nein, aber ich glaube, daß einige der Nonnen mich bespitzeln«, flüsterte er.
    Kim starrte ihren Bruder an. Zuerst war er ohne Frühstück, und ohne auf sie zu warten, zur Schule gegangen. Dann hatte sie ihn den ganzen Tag über kaum zu sehen bekommen. Beim Mittagessen war er nicht in der Cafeteria gewesen, und deshalb hatte sie sich schließlich zu einem Mädchen namens Sandy Endstrom und deren Freundinnen gesetzt. Sie hatte aber kaum zugehört, worüber geredet wurde, weil sie ständig zur Tür geschaut hatte, ob Jared nicht doch noch auftauchen würde. Und jetzt…
    »Warum sollten die Nonnen dich denn bespitzeln? Hast du etwas ausgefressen?«
    Jared schüttelte den Kopf. »Sie können mich einfach nicht leiden.«
    Kim rollte ungeduldig mit den Augen. »Was meinst du damit, daß sie dich nicht leiden können? Mir kommt es so vor, als könnten sie niemanden leiden.«
    Jareds Miene verhärtete sich. »Ich sage dir, sie können mich nicht ausstehen! Den ganzen Tag haben sie mich beobachtet.«
    »Dich beobachtet?« wiederholte Kim. Warum sollten die Nonnen ihn beobachten? Plötzlich fiel ihr eine Erklärung ein. Jared hatte genau wie sie selbst das Gefühl, daß sie es an dieser Schule viel schwerer haben würde, aber aus unerfindlichen Gründen nahm er die Sache persönlich. »Es hat nichts mit dir zu tun«, beruhigte sie ihn. »Hier geht es einfach ganz anders zu als in Shreveport.« Sie wandte sich ab und gab noch einmal die Zahlenkombination ein. Zu ihrer großen Erleichterung sprang das Schloß endlich auf. »Ich bin mir heute fast schon geistig behindert vorgekommen, aber das hat nichts mit den Nonnen zu tun. Es ist nur …«
    Aber Jared hörte ihr nicht mehr zu. Er rannte schon die Treppe am Ende des Korridors hinab. Kim schüttelte verblüfft den Kopf. Was hatte er nur? Warum benahm er sich heute so merkwürdig?
    Aber etwas anderes war noch viel merkwürdiger als Jareds Verhalten.
    Das Zwillings-Phänomen! An diesem Morgen, als sie sich plötzlich so allein gefühlt hatte, war ihr zum erstenmal aufgefallen, daß ihre mentale Verbindung zu Jared unterbrochen war. Aber da hatte sie noch geglaubt, das läge nur an einer Verstimmung ihres Bruders und würde sich geben, sobald sie beide in der Schule waren. Doch es hatte den ganzen Tag über keinen »Funkkontakt« zwischen ihnen gegeben, und Kim verspürte eine nie gekannte Einsamkeit.
    Auch eben, als Jared dicht hinter ihr stand – höchstens 30 cm entfernt -, hatte sie seine Nähe nicht wahrgenommen, und das war für sie eine ganz neue und unheimliche Erfahrung. Ihr Leben lang hatte sie gespürt, ob er sich im selben Zimmer wie sie aufhielt oder nicht. Leises Anschleichen hatte früher zu ihren Lieblingsspielen gehört, aber weder Jared noch ihr war es je gelungen, den anderen zu überraschen.
    Bis heute.
    Schlagartig begriff Kim, warum Jared sich so seltsam verhielt: Er litt genauso wie sie unter der ungewohnten »Funkstörung«. Natürlich, das mußte es sein! Sie rannte ihm nach, schlängelte sich zwischen anderen

Weitere Kostenlose Bücher