Kind der Hölle
den Rückwärtsgang ein.
Trotz Teds Anweisungen hatte sie große Mühe, den schweren Anhänger in die Garage zu bringen. Zweimal mußte sie mit dem Toyota wieder ein Stück vorfahren und dann wieder zurücksetzen. Obwohl sie Ted kaum sehen konnte, weil die Scheibenwischer nicht gegen die Regenflut ankamen, gelang es ihr beim dritten Versuch, den Anhänger und die hintere Hälfte des Wagens in der Garage unterzubringen, auch wenn der rechte hintere Kotflügel dabei am Torpfosten entlangschrammte. Sie sprang aus dem Auto und rannte zu Ted, der schon eine zweite Plane über den Anhänger gebreitet hatte. »Jetzt weiß ich wenigstens, wozu ich diese Dinger gekauft habe«, grinste er, während er sie mit einer Wäscheleine festzurrte. Trotzdem warf er einen besorgten Blick durch die Balken zum undichten Dach empor. »Vielleicht sollte ich raufsteigen und es sofort reparieren.«
»Bist du verrückt?« protestierte Janet. »Bei diesem Wetter würdest du dir den Hals brechen!«
»Aber …«
»Kein ›aber‹! Machen wir lieber, daß wir ins Haus kommen, bevor es noch schlimmer wird!«
Sie sprinteten durch den Hof zur Hintertür und erreichten die schützende Küche, als ein besonders greller Blitz die Wolkendecke zerriß, dicht gefolgt von einem so gewaltigen Donnerschlag, daß Molly vor Schreck zu schreien begann.
Ted hob sie aus dem Laufstall. »Alles in Ordnung«, tröstete er das Kind. »Der Donner kann Daddys kleinem Liebling gar nichts tun.«
Während Janet ihn beobachtete, überlegte sie, ob er die Rolle des besorgten Vaters nur spielte, um sie zum Hierbleiben zu bewegen. Sie traute ihm eine solche schauspielerische Leistung aber nicht zu.
Selbst naß bis auf die Haut, wischte er seiner kleinen Tochter zärtlich die Tränen von den Wangen, und als sie sich beruhigt hatte, lächelte er Janet zu. »Ich finde, alles in allem haben wir draußen ganz gute Arbeit geleistet.«
»Obwohl ich mit dem Kotflügel den Torpfosten gerammt habe?«
Ted zuckte mit den Achseln. »Bei diesen alten Karren fällt eine kleine Schramme mehr oder weniger doch gar nicht auf.« Nach kurzem Schweigen fuhr er unvermittelt fort: »Ich weiß, daß du möglichst schnell aufbrechen willst. Am besten mache ich gleich den Anhänger los.« Seine Stimme war ganz ruhig. Offenbar hatte er begriffen, daß es für Szenen oder Beschwörungen zu spät war, aber seine Augen – so blau, so klar und so tief wie an dem Tag, als sie ihn kennengelernt hatte – suchten noch einmal die ihren. »Es tut mir leid«, murmelte er. »Es tut mir wahnsinnig leid.« Mit diesen Worten ging er auf die Tür zu.
Janet wußte intuitiv, daß er diesmal die Wahrheit sagte. Etwas in ihm hatte sich tatsächlich seit gestern verändert.
»Ted?«
Er blieb stehen und drehte sich langsam um.
»Vielleicht können die Kinder und ich es ja noch einen Tag hier aushalten und abwarten, was passiert«, hörte Janet sich sagen.
17. Kapitel
Die schrille Klingel, die das Ende des Schultags ankündigte, erschreckte Kim so, daß sie um ein Haar wie von der Tarantel gestochen aus dem engen Pult gesprungen wäre, an dem sie vergeblich versucht hatte, eine komplizierte quadratische Gleichung zu lösen. Im Laufe des Tages hatte sie immer stärker das Gefühl gehabt, aufgrund eines schrecklichen Irrtums in der falschen Klasse gelandet zu sein. Aber alle anderen Schüler waren in ihrem Alter; nur schien keiner so schlecht vorbereitet zu sein wie sie! War es möglich, daß die öffentliche Schule, die Jared und sie bisher besucht hatten, im Lehrstoff so weit hinter dieser Konfessionsschule zurücklag? Es mußte wohl so sein – jedenfalls in Mathematik, Naturwissenschaften und Französisch. Der Rest war nicht ganz so schlimm, aber Englisch und Geschichte waren eben immer ihre Lieblingsfächer gewesen, in denen sie die besten Noten hatte. Die Fächer, die ihr nie leichtgefallen waren, stellten sie jetzt allerdings vor schier unüberwindliche Probleme. Während sie ihre Bücher in den Rucksack legte und zu den Schließfächern ging, überlegte sie, ob Jared sich genauso überfordert fühlte. Wenn ja, würde es um sie beide schlecht bestellt sein, denn bisher hatten sie sich immer gegenseitig helfen können, weil ihre Begabungen auf verschiedenen Gebieten lagen.
Als sie auf dem tristen Korridor im ersten Stock vor ihrem Schließfach stand und die Zahlenkombination eingab, stellte sie bestürzt fest, daß die Tür sich nicht öffnete. Erst beim dritten Versuch bemerkte sie ihren Fehler, sie
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