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Kind der Hölle

Kind der Hölle

Titel: Kind der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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undurchdringlichen Dschungel geglichen hatte, konnte man jetzt die kläglichen Überreste eines Rasens und die Skelette von Büschen erkennen, die im Würgegriff des wuchernden Unkrauts vor langer Zeit verdorrt waren.
    »Es ist nicht ganz so schlimm, wie es aussieht«, hörte Kim die Stimme ihres Vaters, und als sie sich erschrocken umdrehte, stand er dicht vor ihr. Instinktiv wich sie einige Schritte zurück, um der Alkoholfahne zu entgehen, die ihn stets umgab. »Kein Grund zur Aufregung, Prinzessin!« Diesen Kosenamen hatte er seit vielen Jahren nicht mehr benutzt, und er schenkte ihr sogar ein warmes Lächeln. »Ob du’s glaubst oder nicht – ich bin nicht betrunken!«
    Seine Worte verwirrten Kim genauso wie der Kosename. Sie versuchte sich zu erinnern, wann er zuletzt zugegeben hatte, zuviel zu trinken oder betrunken zu sein, und sie brauchte nicht lange, um eine Antwort darauf zu finden.
    Noch nie.
    Er hatte immer lautstark behauptet, keinerlei Alkoholprobleme zu haben.
    »Das … das habe ich auch nicht vermutet«, schwindelte sie verlegen und machte sich auf den üblichen Wutausbruch gefaßt, denn natürlich würde er ihr Manöver durchschauen. Zu ihrer großen Verwunderung lächelte er weiterhin.
    »Natürlich hast du das vermutet«, sagte er sanft. »Und völlig zu Recht, denn es dürfte Jahre her sein, daß du mich nüchtern zu Gesicht bekommen hast.«
    Kim konnte keinen klaren Gedanken fassen. Was in aller Welt war heute passiert? »Ich … ich wollte nicht … ich meine, ich wollte …«, stammelte sie zusammenhanglos.
    Ihr Vater streckte seine Arme aus, so als wollte er sie an sich ziehen, hielt aber mitten in der Bewegung inne und betrachtete seine schmutzigen Hände und den verschwitzten Oberkörper. »Ich würde dich gern umarmen, Prinzessin, doch dann wärst du vollends überzeugt, daß ich besoffen bin, und das bin ich nicht. Seit der vergangenen Nacht habe ich keinen Tropfen Alkohol getrunken.«
    Kim schaute unwillkürlich zum Haus hinüber, und er schien ihre Gedanken zu erraten. »Deine Mutter hat mir eine allerletzte Chance gegeben«, berichtete er. »Wir haben uns heute Vormittag lange unterhalten … Nein, es war kein Streit«, beschwichtigte er hastig die Ängste, die sich auf dem Gesicht seiner Tochter widerspiegelten. »Wir hatten eine ganz sachliche Aussprache …« Kim konnte ihm ansehen, daß er nach Worten rang. »Ich weiß, daß ich kein guter Vater gewesen bin«, gab er unumwunden zu, »und dafür gibt es keine Entschuldigungen. Die Schuld lag ganz allein bei mir …«
    Er redete noch fünf Minuten so offen weiter und schloß mit den Worten: »Ich bitte dich nicht, mir zu verzeihen oder alles zu vergessen. Ich kann nur zutiefst bedauern, daß ihr alle – du, deine Geschwister und deine Mutter – soviel Schlimmes durchmachen mußtet. Es läßt sich nicht wiedergutmachen, aber von heute an werde ich mich bessern.« Lächelnd fügte er noch hinzu: »Das ist keine große Kunst, denn noch schlechter hätte ich kaum werden können, stimmt’s?«
    Kim nickte zögernd, mit Tränen in den Augen. Sie hätte ihrem Vater gern die Arme um den Hals geworfen und sich wir früher, als kleines Mädchen, an seiner Brust geborgen gefühlt, aber sie wußte aus langer, bitterer Erfahrung, daß auf seine Worte kein Verlaß war. Von widersprüchlichen Gefühlen geplagt, wußte sie nicht, was sie sagen sollte, aber seltsamerweise schien ihr Vater plötzlich wie Jared ihre Gedanken lesen zu können.
    »Sag jetzt nichts«, riet er ihr. »An deiner Stelle wäre ich auch äußerst mißtrauisch.«
    Zum erstenmal seit Jahren schaute sie ihm tief in die Augen und versuchte zu ergründen, ob er die Wahrheit sagte. Sie wünschte sich sehnlichst, ihm glauben und vertrauen zu können … Unwillkürlich griff sie nach dem kleinen goldenen Kreuz, das sie von ihrer Großtante geschenkt bekommen hatte, so als erhoffte sie sich eine Weisung von dem Amulett.
    Doch es war ihr Vater, der ihr zu Hilfe kam. »Warum gehst du nicht ins Haus und redest mit deiner Mutter?« Er warf einen Blick zur Sonne. »Mir bleiben noch etwa drei Stunden, um das restliche Unkraut zu beseitigen, und wenn ich mich beeile, schaff ich’s vielleicht.«
    Er machte sich wieder an die Arbeit, und Kim schaute zu, wie er die dicken Ranken, die sich um Eichen und Weiden geschlungen hatten, zerhackte und von den unteren Ästen löste. Die Schlingpflanzen leisteten erbitterten Widerstand, landeten letztendlich aber doch im Feuer. Als die Flammen hoch

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