Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
Vom Netzwerk:
Er muss sie einmal geliebt haben. Aber was ist aus ihnen geworden?
    Behutsam legte Carol alles zurück und schob so lange daran herum, bis sie überzeugt war, dass alles wieder genauso lag, wie sie es vorgefunden hatte. Dann verschloss sie die Schublade und legte den Schlüssel wieder zurück. Sie ging nach oben, machte Frühstück und war kaum ins Wohnzimmer gegangen, als es an der Eingangstür klopfte.
    Chloe ging, um zu öffnen, und kehrte mit Julien und Jeanette zurück. Carol saß am Kamin und sah den Vampiren dabei zu, wie sie einander begrüßten. Sie waren alle sehr herzlich, umarmten sich, küssten sich gegenseitig, knabberten einander sogar an den Ohren wie junge Hunde und freuten sich wirklich, einander zu sehen. Niemand nahm Notiz von ihr, aber im Augenblick machte ihr das auch nichts aus. Sie begegnen einander mit so viel Respekt und Herzlichkeit, dachte sie. Ja, herzlich und respektvoll, das trifft es genau. Menschlicher als viele menschliche Wesen. Es war faszinierend, ihnen zuzusehen.
    Wenige Minuten später kam Karl herein, André im Schlepptau. Er blickte Carol an, und sie hatte den Eindruck, er wollte zuerst zu ihr gehen, doch dann rief ihn Julien, und er gesellte sich zu den anderen. Sie sah, wie Michael ins Zimmer spähte und dann schnell wieder den Kopf zurückzog. Dann hörte sie ihn die Treppe zum zweiten Stock empordonnern.
    Falls sie ein Problem damit hatten, dass Julien ihr ihre Adresse gegeben hatte, hatten sie es offensichtlich beigelegt. Sie sah keinerlei Anzeichen für irgendwelche Feindschaften zwischen ihnen. Es war tatsächlich merkwürdig. Eine Gruppe von Vampiren, und Carol war sich noch nicht einmal sicher, was das bedeutete, weil sie wusste, dass sie so ganz anders waren als in den einschlägigen Filmen. Sie wirkten ganz normal, wie jeder andere auch - bis auf die Sache mit dem Blut. Aber es spukte ihr ständig durch den Hinterkopf, dass sie für sie im Grunde nichts anderes als Nahrung war. Dennoch fand sie sie auch irgendwie beneidenswert. In gewisser Weise bildeten sie eine Gemeinschaft, und dennoch blieben sie Individuen. Mit einem Mal verspürte Carol Sehnsucht danach, zu etwas zu gehören, was größer war als sie selbst, an dem teilzuhaben, was sie besaßen.
    Es läutete an der Tür, und Julien öffnete, als wäre er hier zu Hause. Er kehrte mit einer außergewöhnlich aussehenden Frau zurück. Alles verstummte und wandte sich ihr zu.
    Sie war genauso groß wie Julien, der über eins achtzig maß. Ihr Haar, das sie in einem losen Knoten trug, war überwiegend silbergrau und glänzte in dem hellen Licht. Eine dünne pechschwarze Strähne verlief vom spitz zulaufenden Haaransatz in der Mitte ihrer Stirn bis ganz nach hinten. Ihre Haut war hell und makellos, aber irgendwie
merkwürdig. Ihre Züge, vor allem die Augen, wirkten eurasisch. Letztere standen leicht schräg und funkelten wie Edelsteine, in deren geschliffenen Flächen sich ein Lichtstrahl bricht, zwei alles durchdringende Kristalle im tiefsten Veilchenblau, das Carol bisher nur an den Blumen selbst gesehen hatte. Ihre Augen erinnerten Carol an Julien, und sie fragte sich, ob diese Vampire, je länger sie existierten, nicht wie die tiefsten geologischen Schichten der Erde selbst wurden, dem Ursprung des Lebens näher kamen. Und des Todes.
    Die Frau war sehr leger, aber dennoch elegant in mehrere Lagen Baumwoll- und Seidenstoffe gekleidet. Über einer etwas längeren trug sie eine dreiviertellange Hose und darüber einen Rock, zwei oder drei Blusen, eine Weste, eine weite, offene Jacke, zwei Seidentücher und ein Schultertuch, alles in Schwarz- und Grautönen und dazwischen ein paar Tupfer Weiß. Dazu trug sie riesigen Silberschmuck, in den Türkise und ein weiterer, bräunlich-grüner, von blutroten Schlieren durchzogener Stein eingelassen waren.
    Lächelnd ging diese bemerkenswerte Frau auf die Gruppe zu, ja, sie schwebte beinahe; ihre Haltung war die einer Königin. Sie wirkte alterslos, aber keinesfalls jung.
    Auf Englisch stellte Julien ihr Jeanette vor. Jeanette, selbst nicht gerade klein, wurde von dieser Frau noch überragt. Anschließend sagte Julien einfach: »Jeanette, das ist Morianna, von der ich dir schon so viel erzählt habe.«
    Die Frau lächelte Jeanette so warmherzig an, dass diese vor Carols Augen dahinschmolz. Morianna umfasste Jeanettes Gesicht mit den Händen, und Jeanette hielt die Ältere bei der Taille. »Oh ja!«, rief Morianna aus, und

Weitere Kostenlose Bücher