Kind der Nacht
ihr mit einem zurückhaltenden Lächeln zu.
»Wie ich sehe, hast du es überlebt!«
So viel zu Chloes Ratschlägen, dachte sie. Jetzt bringt er selbst die Rede darauf.
Er trat an den Tisch und hob den Warmhaltedeckel vom Teller. »Du hast ja schon wieder nichts gegessen. Das ist jetzt die zweite Mahlzeit, die du auslässt. Befindest du dich im Hungerstreik, oder willst du nur mein Mitgefühl wecken?«
Er sah sie eindringlich an, und Carol duckte sich unter seinem Blick. Sie versuchte etwas zu sagen, aber ihr Mund war trocken. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und sie hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen. »Ich habe keinen Hunger«, brachte sie endlich hervor.
Er ließ den Warmhaltedeckel zurück auf den Teller fallen. »Gut, denn so etwas wie Mitleid kenne ich nicht.« Er kam auf sie zu.
Sie begann am ganzen Körper zu zittern. »Es freut mich zu sehen, dass du Angst vor mir hast«, sagte er. »Andernfalls müsste ich annehmen, du hättest sie nicht mehr alle. Um ehrlich zu sein, habe ich bereits meine Zweifel gehabt. Ihr Sterblichen glaubt doch alle, ihr könntet eure Gefühle verbergen. Komm her zu mir!«
Zögernd, mit weichen Knien, kam Carol hinter ihrem Sessel vor. Sie konnte die Tränen kaum noch zurückhalten.
»Ich beiße nicht. Es sei denn, du hast vor, unsere Abmachung zu brechen.«
Er packte sie bei den Hüften und zog sie an sich. »Bist du immer noch der Meinung, du könntest dich mir hingeben? Oder willst du von unserem Pakt zurücktreten?«
»Wir haben einen mündlichen Vertrag geschlossen«, sagte sie leise. Sie vermied es, ihm in die Augen zu blicken. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die gerade Linie seiner Lippen, voller Angst, jeden Moment in Tränen auszubrechen. »Und daran halte ich mich!«
»Ihr modernen Frauen seid ja so vernünftig. Hast du je mit dem Gedanken gespielt, eine Laufbahn als Anwältin einzuschlagen?«
»Ich habe es versucht.«
»Und?«
»Ich bin durchs Examen gefallen.«
»Du hättest den Leuten anständig das Blut aussaugen können«, sagte er lachend. Dabei entblößte er seine Zähne. Instinktiv wandte Carol den Blick ab und sah nicht hin. »Na, komm schon. Ich bin auch ganz sanft.«
Er führte sie zum Bett. Dort angekommen, entkleidete er sich, legte sich hin und zog sie auf sich. »Oben dürfte es bequemer für Sie sein, Frau Anwältin.« Er schob sie zurecht, sodass sie rittlings auf seinen Hüften zu sitzen kam. Nachdem er sie stimuliert hatte, drang er behutsam in sie ein und hob sie auf und ab, bis sie sich schließlich im Takt mit ihm bewegte.
In dieser Nacht blieb er länger und nahm sie dreimal hintereinander, ohne die Stellung zu wechseln. Er gab sich sanft und ausgeglichen, aber Carol hatte Mühe, Chloes Rat zu befolgen und den gestrigen Abend zu verdrängen, um sich ganz dem Augenblick hinzugeben, offen und freiwillig, nur damit sie am Leben blieb.
Als er kurz vor Tagesanbruch ging, verabschiedete er sich mit einem langen, innigen Kuss und verschwand. Sobald Carol sich vollkommen sicher war, endlich wieder allein zu sein, ließ sie ihren Tränen freien Lauf.
6
Am nächsten Tag war von den roten Streifen auf Carols Hinterteil nichts mehr zu sehen. Ihre seelischen Wunden dagegen heilten nicht so schnell.
André kam von Nacht zu Nacht früher, und jedes Mal blieb er länger. Er sagte ihr zwar stets, was sie zu tun hatte, blieb dabei aber recht sanft. Meist war er geduldig und drängte sie nicht, nahm sich sogar Zeit für ein ausgedehntes Vorspiel, obwohl es ihr Mühe bereitete, auch nur im Entferntesten so etwas wie Erregung zu spüren, wenn er zugegen war. Manchmal allerdings nahm er sie ohne Umschweife, wie ein pubertierender Jüngling, der sich nicht in der Lage sieht, das Gefühl auszukosten. Aber was er auch tat, die Furcht wich nie ganz von Carol, und sie vermochte ihm nie ganz zu trauen. Bei zwei Gelegenheiten bekam sie es sogar richtig mit der Angst zu tun - beide Male zwang er sie, sich an die Bettkante zu knien.
Wenn sie nicht gerade miteinander schliefen, unterhielt André sich mit ihr. Er erzählte ihr, dass viele seiner »Opfer« Seeleute seien. »Bordeaux ist eine Hafenstadt, die drittgrößte Frankreichs. Täglich legen hier Schiffe an, und viele der Männer sind auf der Suche nach schnellem Sex - mit Männern. Das Geschlechtliche interessiert mich nicht, ich will nur ihr Blut. Wir treffen uns, verschwinden hinter irgendeinem Gebäude, und dann nehme ich mir,
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