Kind der Nacht
Haar ein, nicht anders, als eine Mutter es machen würde.
»Warum tun Sie das? Was machen Sie mir hier vor? Sie stehen doch auf seiner Seite!«
Die Frau hielt einen Augenblick inne. »So jung und schon so misstrauisch? Du musst Schlimmes durchgemacht haben in deinem Leben.«
»Ich habe Schlimmes durchgemacht, und zwar hier, in diesem Haus! Weshalb also sollte ich Ihnen trauen?«
»Weshalb nicht? Ich möchte dir doch nur helfen.«
»Warum?«
»Sagen wir es einmal so: Ich habe André sehr gern. Er ist wie ein Sohn für mich, und ich will, dass er glücklich ist.«
Carol lachte verbittert. »Nun, dann geben Sie ihm doch eine Peitsche und ein paar Ketten. Dann fühlt er sich wie im Paradies. Oder glaubt man in Ihrer Sekte nicht an den Himmel?«
»Du verstehst nicht ganz, Schätzchen! Er ist von dir hingerissen. So habe ich ihn schon lange nicht mehr erlebt.«
Abermals lachte Carol verbittert auf. Doch dann übermannte sie die Verzweiflung. »Lassen Sie mich gehen. Bitte!«
»Das kann ich nicht tun! Wir können uns nicht gegenseitig ins Handwerk pfuschen. André ist derjenige, der dich gefunden hat, und nur er kann entscheiden, was mit dir geschieht.«
Die Frau half ihr aus der Wanne und tupfte sie mit einem weißen Frottiertuch trocken. »Ich habe hier ein Naturheilmittel, das deine Beschwerden lindern wird.« Sie bedeutete Carol, in die Ecke mit dem Spiegel zu gehen. »Schau dich nur an!«
Carol ging durch den Raum. Vor dem bodenlangen Spiegel drehte sie sich um. Quer über ihre Pobacken verliefen vier hellrosa Streifen. »Siehst du?«, sagte die Frau. »Morgen bist du wieder in Ordnung. Es ist nichts aufgeplatzt. Deine Haut ist noch heil!«
»Wahnsinn! Dafür soll ich mich wohl noch bedanken!«
»Komm her und leg dich hin! Ja, so ist es gut. Am Anfang fühlt es sich etwas kalt an.«
Die Frau trug ein dickes durchsichtiges Gel auf, und Carol spürte, wie der Schmerz nachließ. Erst jetzt bemerkte sie, wie verspannt sie am ganzen Körper war. Sie versuchte, ihre Muskeln locker zu lassen.
»Wie heißen Sie eigentlich?«
»Chloe.«
»Sie sind wie er - Sie trinken auch Blut! Sie alle, nicht wahr? Als wären Sie Vampire.«
»Worte haben ihre eigene Macht, Carol. Sie können in Angst und Schrecken versetzen oder einen in ihren Bann schlagen. Darum sollte man sie vorsichtig gebrauchen. Sagen wir einfach, wir vier sind eine Familie.«
»Sie meinen eine Sekte.«
Das Gel fühlte sich kühl an, und es linderte tatsächlich den Schmerz. Schon nach kurzer Zeit spürte Carol nichts mehr. Sie seufzte tief auf.
»Was ist mit dem Dienstmädchen und dem Chauffeur?«
»Sie gehören nicht zur Familie.«
»Wie stellen Sie es dann an, dass sie den Mund halten? Bezahlen Sie ihnen genug?«
»Sie nehmen ... wie soll ich es sagen ... unsere besonderen Eigenheiten nicht unbedingt wahr. So! Jetzt ist alles in Ordnung. MorgenAbend trage ich dir wieder ein bisschen Aloe Vera auf. Ich lasse sie dir hier, nur für den Fall, dass du dich später noch einmal einreiben möchtest, okay?«
Carol drehte sich auf den Rücken. Sie war zwar nackt, aber vor dieser Frau machte es ihr nichts aus. »Chloe, ich weiß nicht, warum Sie das tun...«
»Ich habe es dir doch schon gesagt, Schätzchen. Ich möchte, dass André glücklich ist.«
»Nun, aus welchem Grund auch immer, danke! Ich werde es nicht vergessen.«
Chloe umfasste Carols Gesicht mit den Händen und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Du bist ein liebes Ding. Ich kann gut verstehen, was er an dir findet. Aber jetzt«, fuhr sie fort und erhob sich, »werde ich gehen, damit du dich noch ein bisschen frisch machen kannst, bevor André kommt.«
Sie stellte das Salbentöpfchen auf dem Nachttisch ab, ging hinüber zum Beistelltischchen, nahm das Tablett mit dem Geschirr vom Abend zuvor und strebte der Tür zu.
Mit einem Mal überfiel Carol eine panische Angst, allein auf André warten zu müssen. »Sie müssen mich hier rauslassen, bitte! Er wird mich umbringen.«
Bereits im Hinausgehen wandte Chloe sich noch einmal um. »Carol! Ich darf dich doch Carol nennen?«
Ungeduldig zuckte Carol die Achseln.
»Ich kann dich nicht rauslassen. Aber darf ich dir einen Rat geben? In Bezug auf Andrd?«
»Warum nicht? Ich brauche jede Hilfe, die ich kriegen kann!«
»Nun, vielleicht wäre es besser, wenn du den Vorfall von gestern Abend gar nicht erwähnst. Kein Wort davon, hast du verstanden?«
»In Ordnung. Sollen meine Wunden für sich
Weitere Kostenlose Bücher