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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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Hinterteil. Sekundenlang war sie viel zu verblüfft, um zu reagieren. Sie hatte Angst. Aber schlimmer noch waren der Schmerz und die Demütigung. Tränen traten ihr in die Augen.
    Das Leder traf ihre geschundene Haut ein drittes Mal, und sie biss sich fast auf die Zunge, damit ihr nur ja kein Wort entrutschte.
    Doch den vierten Schlag konnte sie kaum noch ertragen, und die Vorstellung, die Tapfere zu mimen, verlor für sie jeden Reiz. Schluchzend öffnete sie den Mund, bereit, André endlich anzuflehen und zu betteln, doch zu ihrem Entsetzen brachte sie nicht ein einziges Wort heraus. Es war, als habe irgendetwas in ihr auf stur geschaltet und widersetze sich nun dem Gedanken, sich völlig zu erniedrigen.
    Plötzlich gab tief in ihrem Innern etwas nach, und als würde ein kleines Boot in den Stromschnellen vom Kurs abgetrieben, verlor sie jede Beherrschung. Es war beinahe, als habe ihre Persönlichkeit sich gespalten. Carol hörte sich selbst unzusammenhängende Schreie ausstoßen, sie schluchzte, hyperventilierte und verlor mit einem Mal das Bewusstsein.
    Später erinnerte sie sich noch daran, dass er sie irgendwann dazu aufforderte, die Augen zu öffnen. Durch den Tränenschleier hindurch vermochte sie ihn zwar nicht zu erkennen, aber sie hörte ihn sagen: »Dann ist es also doch Starrsinn. Das ist zu dumm!«
    Als er endlich aufhörte, lag Carol zusammengerollt auf der Seite. Sie schluchzte, den Kopf nach vorn gebeugt, die Knie an die Brust gezogen und die Arme zum Schutz vor den Leib geschlungen. Sie bekam nicht mit, wie er ging. Sie bekam auch nicht mit, wie das Mädchen ihr Essen brachte, als die Nacht dem Morgen wich. Sie wollte nichts mehr hören und nichts mehr sehen.

5
     Carol blieb den ganzen Tag im Bett, bis die Nacht anbrach. Hin und wieder dämmerte sie sogar ein. Dann warf sie sich unruhig hin und her, sodass das Betttuch am Abend wie eine riesige weiße Schlange um ihren Körper gewickelt war. Doch als sie schließlich hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte, wachte sie auf. Und die Angst kehrte zurück.
    Aber es war nicht André, sondern die ältere Frau, der er ähnlich sah. Sie brachte ihr ein Tablett. Carol sah zu, wie sie das Essen vorsichtig auf dem Beistelltischchen neben dem Tablett vom Abend zuvor abstellte und zu ihr ans Bett kam.
    Sie setzte sich und beugte sich über Carol, um ihr übers Haar zu streichen. »Mein armer Schatz«, sagte sie in beruhigendem, mütterlichem Ton. »Es tut mir Leid, dass ich gestern Abend nicht da war. André hätte dir das nicht antun dürfen. Er hatte seine Leidenschaften noch nie unter Kontrolle. Er ist so unsicher.«
    »Er ist ein Monster!«, entgegnete Carol.
    »Kein Monster, ma chêre! Das verstehst du nicht. Aber wie solltest du auch?«
    Sie drehte Carols Kopf zu sich, sodass sie ihr in die Augen blickte. »Was hast du denn davon, im Bett zu bleiben? Dir wird es nur schlechter gehen, und wahrscheinlich treibst du ihn damit erst recht auf die Palme.«
    »Na und? Was für einen Unterschied macht das schon?«, sagte Carol bitter. »Es spielt doch überhaupt keine Rolle, ob ich tue, was er will, oder nicht. Nicht wahr?«
    »Na, komm schon, Schätzchen!«, sagte die Frau. Mit erstaunlicher Kraft richtete sie Carol in eine sitzende Position auf und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. »Du bist doch kein Kind mehr. Du wirst es schon überleben. Ich helfe dir jetzt ins Bad!«
    Carol machte sich gar nicht erst die Mühe, ihr zu widersprechen. Sie fühlte sich grauenhaft. Die ganze Nacht hatte sie kein Auge zugetan. Und wenn sie wirklich ehrlich zu sich war, musste sie sich eingestehen, dass sie die Art und Weise, in der er auf sie losgegangen war, als genauso schlimm empfand wie den körperlichen Schmerz. Sie verstand es nicht. Und mittlerweile war ihr der Grund auch egal. Sie hasste ihn, und sich selbst ebenfalls - dafür, dass sie so naiv gewesen war, ihm in die Falle zu gehen und sich in eine derartige Situation bringen zu lassen. Sie hätte es darauf ankommen lassen und sich unten am Hafen einfach heftiger wehren sollen. Wahrscheinlich hätte er sie getötet, aber wenigstens wäre es ein würdevoller Tod gewesen.
    Die Frau ließ ein Bad ein und half Carol in die Wanne. Das Wasser war eher lauwarm und brannte nicht allzu sehr auf der wunden Haut. Mit einer nach Blumen duftenden Seife wusch die ältere Frau Carol Arme und Schultern, Brust und Rücken und rieb ihr mit einem angenehmen Kräutershampoo das

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