Kind der Nacht
allein stehende Frauen tun das.«
»Ich kann nicht«, schluchzte sie.
Er seufzte. »Das heißt, du willst nicht. Hör zu, es kann gar nicht mein Kind sein. Und außerdem ist es mir scheißegal. Du machst ein Riesentheater wegen nichts. Krieg das Kind und behalte es oder gib es zur Adoption frei, oder geh meinetwegen nach Hause und lass es abtreiben. Du kannst doch jederzeit nach Europa zurückkehren, wenn es dich unbedingt dahin zieht. Wo liegt da das Problem?«
Sie kam sich so furchtbar allein und verlassen vor. Wie konnte sie ihm das nur beibringen? Außerdem war es ihm ja ohnehin egal. Er würde ihr lediglich sagen, dass er noch viel einsamer sei als sie, von allem entfremdet und trotzdem sein Leben lebe. Sie solle endlich erwachsen werden und sich der Realität stellen. Eigentlich war das, was er vorschlug, vollkommen logisch - nach Hause zu fahren, die Abtreibung vornehmen zu lassen und dann wieder nach Europa zurückzukehren. Aber offensichtlich hatte sie es im Moment nicht so sehr mit der Logik, sonst wäre sie ja gar nicht hier. Ihre Gefühle waren mit ihr durchgegangen und stürzten sie in eine tiefe Verwirrung, ertränkten sie in Angst und Einsamkeit, sodass sie nicht mehr wusste, was sie tun sollte, geschweige denn, wie. Das Ergebnis waren weitere Tränen. Großartig! Alles, wozu sie imstande schien, war zu weinen.
Irgendwann langte er über sie hinweg und drückte auf ein paar Tasten am Telefon. Sie hörte ein Piepsen außerhalb des Wagens. Kaum zehn Sekunden später stieg der Fahrer wieder ein und fuhr los.
Es dauerte nicht lange und sie befanden sich auf der Autobahn Richtung Soulac-sur-Mer.
9
André brachte sie ins Wohnzimmer, wo sie sich gegenüber von Gerlinde aufs Sofa setzte, und ließ sie allein. Gerlinde ließ ihre Zeitschift sinken. »Willkommen daheim. Ist er so gut im Bett?«
Carol erwiderte nichts. Sie hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. Ihr ging es schrecklich. Sie fürchtete sich und fühlte sich so allein. Und nun habe ich mich in wahrscheinlich noch größere Schwierigkeiten gebracht, ging es ihr durch den Kopf.
»Du siehst gar nicht gut aus, Kleines«, meinte die Rothaarige. »Hast du geheult? Hat André sich wieder aufgeführt wie ein gefühlloser Sadist?«
Carol blickte sie an. Sie traute dieser Frau nicht. »Ich fühle mich nicht so besonders, das ist alles.«
»Weshalb?«
»Ich ... ich weiß es nicht. Es ist nichts.«
»Hmmm.«
Gerlinde kam zu ihr und setzte sich neben sie. Carol war, als würde die Temperatur im Zimmer um ein paar Grad sinken. »Hey, ich bin nicht deine böse Stiefschwester. Ich weiß ja, dass ich ein großes Mundwerk habe, aber so schlimm bin ich nun auch wieder nicht.« Sie lächelte schief. »Magst du was trinken?«
Carol schüttelte den Kopf.
»Kein Blut. Glaub mir, wenn wir noch etwas davon hätten, würde ich es selber trinken. Wir haben Sherry da.«
Sie stand auf und trat an einen Tisch neben dem Fenster. Aus einer Kristallkaraffe schenkte sie den lieblichen bernsteinfarbenen Wein in ein kleines Glas, dann ging sie zurück und reichte es Carol. »Runter damit! Was auch immer du hast, das hier hilft. Ich habe das Zeug früher selbst getrunken.« Gerlinde setzte sich wieder neben sie und strich ihren fuchsiafarbenen Lederrock glatt.
Carol seufzte tief auf. Sie schnupperte am Inhalt und nahm einen kleinen Schluck.
»Siehst du? Sherry, auf mein Wort!«
Carol nahm einen weiteren Schluck, bevor sie das Glas auf einem Untersetzer auf dem Tisch vor ihnen abstellte. Plötzlich traten ihr wieder Tränen in die Augen, ihre Brust hob und senkte sich und sie schluchzte von Neuem los.
Gerlinde legte tröstend den Arm um sie, und Carol fand sich weinend an der Schulter einer Frau wieder, die sie noch vor wenigen Wochen verabscheut hatte. Gerlinde strich ihr übers Haar. »Hey, was ist denn los?«
Und Carol platzte mit allem heraus.
Gerlinde wirkte verblüfft. »André ein Inkubus? Niemals! Hör mir zu, Kindchen, das ist nicht möglich. Ich meine, André ist dazu nicht fähig. Er kann einfach nicht.«
»Ich weiß«, schniefte Carol. »Das hat er mir auch erzählt. Aber er ist der Einzige, mit dem ich zusammen gewesen bin.«
Ungläubig schüttelte Gerlinde den Kopf. »Mann, ich kann gar nicht glauben, was ich da höre! Bist du dir auch wirklich ganz sicher, dass du schwanger bist?«
»Ja. Ich habe den Arzt darum gebeten, den Test zweimal zu machen.«
»Also eine unbefleckte Empfängnis!«
Die
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