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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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weiter.«
    Carol schloss die Augen. Ja, danach könnt ihr weitersehen, dachte sie, während sie vom Schlaf übermannt wurde, ich werde mein Baby nämlich nicht hergeben, und zum Vampir lasse ich mich auch nicht machen!

18
    An diesem Abend brachten sie Carol, wie versprochen, das Baby, und am folgenden ebenfalls. Als sie am nächsten
Morgen, gleich nach Sonnenaufgang, mit dem Kleinen allein war, langte Carol unter die Matratze und holte eine Gabel hervor, die sie dort verborgen hatte. Anschließend ging sie an eines der Fenster und begann, den Kitt, der die Kunststoffscheibe im Fensterrahmen hielt, herauszukratzen. Schon vor zwei Tagen hatte sie damit angefangen. In ihrem Zustand ging es nur langsam voran, und sie wurde bald müde. Sie zog sich einen Stuhl heran, damit sie sich hinsetzen konnte, während sie den Rahmen unten und an den Seiten bearbeitete. Der Kitt war alt und bröckelte ohnehin bereits ab. Das Holz des Rahmens war stellenweise verfault und ließ sich leicht ablösen.
    Sie nahm den Stuhl und schmetterte ihn gegen das leicht gewölbte Plexiglas. Die Wölbung der inneren Scheibe wies aus Sicherheitsgründen nach innen, damit man sie von außen nicht einschlagen konnte. Allerdings war beim Einbau niemand auf die Idee gekommen, dass es jemand umgekehrt, von innen nach außen, versuchen könnte. Wieder und wieder hämmerte sie gegen die Kunststoffscheibe, bis diese schließlich gegen das Glas der äußeren, getönten Scheibe schlug, die zerbarst. Kalte Luft strömte ins Zimmer. Falls sie einen Alarm ausgelöst hatte, war davon nichts zu hören.
    Sie fütterte das Baby, zog es warm an und band es sich fest an den Körper. Dann zog sie alle Kleidungsstücke an, die sie finden konnte, und schlang sich eine Decke um die Schultern.
    Mit Hilfe aneinander geknoteter Laken ließ Carol sich und das Baby aus dem Fenster zur Erde hinab. Leise schlich sie um die Garage, sorgsam darauf bedacht, weder den Chauffeur noch das Dienstmädchen auf sich aufmerksam zu machen, die womöglich gerade aus dem Fenster schauten. Drinnen fand sie vier Wagen vor, aber nicht die  dazugehörigen Schlüssel. Also verwarf sie diesen Gedanken wieder  und hastete zu Fuß die Kiesauffahrt entlang. Sie bedauerte schon  jetzt, dass sie nur zwei Paar Socken und ihre leichten Sommerschuhe  dabeihatte. Endlich erreichte sie die Straße.
    Es war Januar und kalt draußen. Eine dünne Schneeschicht - der erste Schnee, den sie in Bordeaux sah - bedeckte den Boden und die Pinien, die gepflanzt worden waren, um den sandigen Untergrund vor der Erosion zu schützen. Vom Atlantik her zog dichter Nebel auf, der sich über die Weinberge legte. Anstelle von Handschuhen hatte sie ein weiteres Paar Socken über die Hände gezogen, aber ihre Finger waren dennoch klamm. Nur wenige Autos fuhren vorüber, und sobald eines kam, hob sie den Daumen. Wegen des Nebels sahen sie sie allerdings erst, nachdem sie bereits lange vorüber waren. Ihr war klar, dass sie abgerissen und ziemlich merkwürdig aussah; sie hatte keinen Mantel an, dafür mehrere Lagen Sommer- und Herbstkleidung und eine Decke. Das Baby war dem Blick völlig entzogen. Niemand hielt an.
    An einer Raststätte suchte sie die Toilette auf und stillte das Kind - mittlerweile produzierte ihr Körper eigene Milch. Sie wusch die schmutzige Windel aus und legte sie zum Trocknen auf den Heizkörper. Sie hatte nur eine Windel zum Wechseln in ihrem Zimmer gehabt, die anderen befanden sich irgendwo im Haus; also musste sie zusehen, wie sie damit zurechtkam.
    Über eine Stunde lang ruhten sie sich im Warmen aus. Carol fröstelte, aber dem Baby schien es gut zu gehen. Sie musste auf sich aufpassen, wenn sie weiterhin in der Lage sein wollte, sich um das Kind zu kümmern.
    Zu guter Letzt bekam sie doch noch eine Mitfahrgelegenheit bis fast nach Bordeaux, und gegen Mittag, als sie sich der Stadt näherte, nahm sie jemand mit, der am Zentrum vorüber bis in die Randbezirke fuhr. Sie wusste nicht recht, wohin sie sich wenden sollte. Nach Paris wollte sie nicht noch einmal gehen, denn dort würden sie sie als Erstes suchen. Aber wohin sonst? Sie entschied sich für Le Havre. Dort wollte sie die Fähre nach England nehmen und fragte an einer Tankstelle nach dem Weg. Von London würde sie sich fern halten, damit sie sie nicht so leicht finden konnten. Sie wollte sich nicht zu viele Gedanken über die Zukunft machen.
    Zweimal wurde Carol für jeweils längere Strecken

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