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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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mitgenommen.  Wie sie da so, das Kind im Arm, am Straßenrand stand, kam sie sich  vor wie eine Landstreicherin. Am späten Nachmittag begann es zu  schneien, und sie war gezwungen, in einer weiteren Raststätte  Zuflucht zu suchen. Der Inhaber verstand zwar kein Englisch, aber sie  tat ihm Leid. Er bot ihr Kaffee und ein Stück Brot mit einer Scheibe  Fleisch an und ließ sie sich ins Büro setzen. Sie stillte das Kind, wech selte noch einmal die Windeln und versuchte sich aufzuwärmen, in  ständiger Sorge um den Himmel, der immer dunkler wurde.
    Es widerstrebte Carol, die sichere Geborgenheit, die sie hier gefunden hatte, aufzugeben. Dennoch zwang sie sich aufzustehen und ging wieder hinaus an die Autobahn. Ein Stück die Fahrbahn entlang sah sie ein Schild: Rouen, und ein Stück weiter noch eines: Le Havre -  150 km. Sie war schon fast an der Fähre. Sie hatte keine Ahnung, wovon sie die Überfahrt bezahlen sollte, njachte sich im Moment jedoch keine Sorgen darum. Es gab zu viele andere Dinge, über die sie sich den Kopf zerbrechen musste.
    Ein freundlicher LKW-Fahrer nahm sie eine lange Strecke mit, doch dann führte sein Weg ihn auf eine andere Autobahn und Carol musste aussteigen.
    Der Kleine weinte nicht. Sie hielt ihn warm eingepackt dicht an ihrem Herzen, und er schien zufrieden. Immer wieder musste sie ihn ansehen, und mit jedem Mal wurde ihr klarer, dass er das Riskio lohnte, das sie für ihn einging, und dass kein Opfer zu groß sein könnte. »Wir sind zusammen«, sagte sie zu ihm. »Das ist alles, was zählt.«
    Mit Einbruch der Dunkelheit begann es heftig zu schneien. Sie musste wie eine Obdachlose aussehen, denn der Verkehr war zwar dicht, aber nicht ein Wagen hielt.
    Es waren nur noch fünfzig Kilometer bis zur Fähre, aber sie musste sich erneut ausruhen. Die Geburt hatte ihr das Letzte abverlangt. Die Beine taten ihr weh, die Füße ebenfalls, und ihre Hände waren klamm. Außerdem mussten das Kind gefüttert und die Windeln gewechselt werden.
    Sie nahm eine Ausfahrt, die zu einer Raststätte, einen halben Kilometer von der Autobahn entfernt, führte, das einzige Gebäude an der Straße. Aber als sie näher kam, wäre sie fast in Tränen ausgebrochen. Die zur Straße hin gelegene Seite sah ganz normal aus, aber der Rest war mit Brettern vernagelt und die Fassade von einem Brand geschwärzt. Carol wusste nicht, was sie machen sollte, ob sie auf dieser  Straße bleiben und zusehen sollte, in die nächste Stadt zu gelangen,  oder ob sie versuchen sollte, es bis zur Fähre zu schaffen. Sie hatte  eine Rast bitter nötig, nur wie? Plötzlich fing das Kind an zu jammern.
    »Psst, mein kleiner Schatz«, flüsterte sie. »Irgendwie werde ich das schon machen.« Sie wiegte ihn sanft im Arm und sang ihm ein Lied vor, das ihr bereits ihre Mutter vorgesungen hatte und das von all den hübschen kleinen Pferdchen handelte.
    Ihr kam der Gedanke, dass sie, wenn sie es schaffte, eine der Dielen an der Tankstelle aufzubrechen, dem Schnee und der Kälte zumindest eine Zeit lang entfliehen könnten. Sie zog und zerrte an einem schmalen Kantholz, doch es gab nicht nach. Aber vielleicht wäre sie in der Lage, sich durch eines der Fenster zu zwängen. Sie entfernte die verbliebenen Glasscherben und mühte sich durch die Öffnung.
    Innen roch es verbrannt. Vorsichtig stieg Carol über den in der Dunkelheit umherliegenden Schutt. Etwas huschte an ihrem Fuß vorbei, dann stieß sie sich das Schienbein an und schrie auf. Das Baby fing wieder an zu jammern.
    Sie tastete sich an der Wand entlang und kam schließlich an eine Art Tresen. Darunter ertastete sie einen Metallkasten, der auf dem Boden stand. Prüfend setzte sie den Fuß darauf, um sich zu vergewissern, dass er ihr Gewicht auch aushielt.
    Dann ließ sie sich erschöpft nieder. Hier drin war es ebenfalls kalt, aber nicht so kalt wie draußen. In den Zehen und Fingern hatte sie keinerlei Gefühl mehr und nahm dies als schlechtes Zeichen. Sie rieb sie und versuchte, den Kreislauf in ihnen wieder in Schwung zu bringen. Schließlich fingen sie an wehzutun, es stach wie von tausend Nadeln, und Carol war sich ziemlich sicher, dass alles in Ordnung war.
    Sie knöpfte ihre diversen Hemden auf und führte die Lippen des Babys an ihre Brust. Es begann sofort wie wild zu saugen, offensichtlich hatte es Hunger. Sie war ebenfalls hungrig, schwach und erschöpft und fürchtete, dass sie zudem ein bisschen blutete. Aber hier an

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