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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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hungrig aus, und im ersten Augenblick musterte er sie begehrlich. Einen Sekundenbruchteil später machte sich auf seinem Gesicht Überraschung breit.
    Direkt hinter ihm tauchte das junge Mädchen auf, dann Jeanette. Sie wirkte nicht unbedingt erstaunt, sie zu sehen.
    Mehrere Sekunden lang sagte niemand ein Wort. Schließlich meinte Jeanette: »Komm rein, Carol. Ich habe dich schon erwartet.«
    Sie betraten ein riesiges Wohnzimmer. Keine halbe Minute später gesellte sich Julien zu ihnen, eine große schwarze Perserkatze mit ebenso grünen Augen wie Jeanette im Gefolge. Die fünf nahmen an einem Kamin Platz, in den ohne Schwierigkeiten ein Ochse gepasst hätte und der dem Raum mehr als genügend Wärme spendete. Ohne zu zögern sprang die Katze Julien auf den Schoß, und der so streng wirkende Vampir begann sie zu streicheln.
    Der Raum war uralt und hatte gewaltige Ausmaße. Die Decken waren hoch, die Wände aus Stein. Eine komplette Wand wurde von Bücherschränken eingenommen, die bis oben hin angefüllt waren mit antiquarischen Bänden und sich in den nächsten Raum hinein fortsetzten. Den Boden bedeckten handgeknüpfte Orientteppiche, darauf standen dutzende antike Möbelstücke, viele davon in hervorragendem Zustand. Eine Kommode mit wunderschönem Furnier, deren Beine kunstvoll geschnitzte Gesichter zierten, fiel Carol ins Auge.
    Die de Villiers wiederzusehen, brachte ihr ins Bewusstsein, wie viel Zeit vergangen war. Vor fast zehn Jahren hatte sie Jeanette und Julien auf wesentlich älter als sich geschätzt. Nun war ihr klar, dass sie nur unwesentlich jünger wirkte und weit älter als Claude und Susan.
    »Woher hast du gewusst, dass ich komme?«, wollte Carol wissen. Ihr fiel auf, dass sie alle vier bleich und hungrig aussahen.
    »Aus den Karten«, erwiderte Jeanette.
    Carol nickte. »Ich brauche deine Hilfe.« Niemand sagte ein Wort.
    »Ich muss mein Kind finden. Bitte sagt mir, wo er ist.«
    Der Junge, Claude, sagte etwas auf Französisch, aber in einem Dialekt, den Carol nicht verstand. Darauf begann das junge Mädchen zu sprechen, schnell und aufgeregt, ebenfalls auf Französisch, obwohl es offensichtlich nicht ihre Muttersprache war. Carol bekam nur wenige Worte mit.
    Schließlich sagte Jeanette: »Carol, wir können dir nicht helfen. Wir können einen der unseren nicht hintergehen!«
    »Außerdem bist du hier«, sagte Claude. Er wandte sich an Julien. »Wir dürfen sie nicht weglassen.«
    Carols Herz setzte einen Schlag lang aus.
    »Sie wird jedem von uns erzählen«, fügte Susan hinzu. Das Mädchen sah aus, als habe es Angst. Bestätigung heischend, blickte sie erst Jeanette, dann Julien an.
    »Niemand außer mir kennt eure Adresse, und ich werde niemandem etwas sagen!«
    »Du hättest nicht herkommen sollen«, meinte Jeanette. Auch sie blickte zu Julien. »Was machen wir jetzt mit ihr?«
    Juliens dunkle Augen wichen nicht eine Sekunde von Carols Gesicht. Selbst wenn sie ihn nicht ansah, spürte sie seinen durchdringenden Blick. Doch nun blickte sie zu ihm. Sie erinnerte sich an diese Augen. Während Michaels Geburt waren sie da gewesen, bei ihr. Sie hatten diese Erfährung geteilt, doch ihr war klar, dass dies nicht hieß, dass sie darüber hinaus noch irgendwelche Gemeinsamkeiten hätten.
    Weitere Minuten des Schweigens verstrichen. Plötzlich setzte Julien die Perserkatze auf den Boden. Er erhob sich, trat an die Kommode, entnahm einer Schublade Stift und Papier und schrieb etwas auf. Dann ging er zu Carol und hielt ihr das Blatt hin. Sie nahm es, warf einen Blick darauf und sah sofort wieder zu ihm auf. Ein so tiefes Schwarz wie in seinen Augen hatte sie noch nie gesehen, und Carol hatte das Gefühl, sie würde, wenn sie zu lange aus nächster Nähe hineinblickte, einfach darin versinken.
    »Sie sind in Quebec? In Kanada?«, brachte sie endlich hervor.
    Er erwiderte nichts darauf, sah sie nur weiterhin prüfend an.
    In Juliens Rücken sprang das Mädchen, Susan, plötzlich auf und fragte mit schriller Stimme: »Du gibst ihr doch nicht etwa ihre Adresse, oder?«
    »Das kannst du nicht tun!«, fiel Claude ein. Jeanette war ihre Besorgnis deutlich anzusehen. »Julien, in all den Jahrhunderten, die du nun schon existierst, hast du noch nie jemanden verraten, und schon gar nicht einen der deinen. Warum?«
    »Ich verrate niemanden.« Sein Blick durchbohrte Carol noch immer. »Aber ich habe nicht vor, mich dem Schicksal in den Weg zu stellen.«



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    Um

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