Kind der Nacht
einer Funktionsstörung der Alarmanlage ausging und die Kontrollen einstellte. Als sie zum dritten und, wie Carol hoffte, letzten Mal wieder wegfuhren, war sie bereit, mit ihrer Suche zu beginnen.
Sie ging in die Küche, einen hellen Raum ganz in Weiß und Gelb- und Rottönen mit einer Arbeitsplatte und Barhockern in der Mitte. Schrank und Kühlschrank waren so gut wie leer - ein Indiz dafür, dass sie hier richtig war.
Carol bewegte sich lautlos, aber das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie hoffte, dass niemand es hörte.
Es gab ein ganz in Kiefer eingerichtetes Esszimmer, die kanadische Version eines rustikalen französischen Stils, und ein mit Sofas, Tischen und Lampen voll gestopftes Wohnzimmer. Sie erkannte ein paar der Queen-Anne-Möbelstücke wieder und die Skulptur mit dem Delfin und der Meerjungfrau. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und
sie musste sich sehr zusammennehmen, um sich von ihrer Aufregung nicht noch zu einer Dummheit hinreißen zu lassen.
So leise und behutsam sie nur konnte, stieg sie die Treppe hinauf. Im Haus war es kühl - tagsüber zogen sie niedrigere Temperaturen vor. Oben stieß sie auf fünf Türen. Bis auf das Badezimmer waren sie allesamt abgeschlossen. Eine weitere Treppe führte ins dritte Geschoss. Oben gab es zwei Türen, sie waren beide verschlossen. Also entschied Carol sich dazu, den Keller zu untersuchen. Sie fühlte sich vergleichsweise sicher - sie würden bis Sonnenaufgang schlafen und nicht in der Lage sein, ihr zu schaden. Eine Begegnung mit Sterblichen jedoch durfte sie sich nicht erlauben. Es schienen allerdings keine in der Nähe zu sein.
Wieder im Erdgeschoss, entdeckte Carol eine Treppe, die von der Küche abzweigte. Sie schaltete die riesige Taschenlampe ein, die sie mitgebracht hatte, und stieg die hölzernen Stufen hinab. Der Keller war ein riesiger kahler, ungetünchter Raum. Wände und Fußboden bestanden aus nacktem Beton, aber alles war blitzblank. Die beiden kleinen Stauräume hinter der Treppe waren bis auf ein paar Schrankkoffer leer. In einer Ecke des Hauptraumes stand ein neue, nahezu lautlose Gasheizung. Daneben war eine Tür, die einzige, die sie ausmachen konnte. Carol war klar, dass sie sich sie ansehen musste.
An der Tür befanden sich zwei Krampen nebst Kette und Vorhängesc hloss. Doch die Kette ging lediglich durch die Krampe am Türrah men, sodass sie sie noch nicht einmal abnehmen musste. Darunter ein Kombinationsschloss, wie man es für gewöhnlich an Tresoren findet. Carol dankte ihrem Glücksstern dafür, dass sie gleich ein ganzes Buch über das Knacken von Banksafes gelesen und an einem alten Geldschrank, den sie auf einem Flohmarkt entdeckte, geübt hatte. Verglichen mit dem komplizierten Ding war dies hier das reinste Kinderspiel.
Sie stellte die Tasche auf dem Boden ab. Geduldig drehte sie an dem Zahlenschloss und lauschte dabei durch ein Stethoskop, das sie eigens für einen solchen Fall mitgebracht hatte. Jedes Klicken hörte sich an wie eine Explosion. Nach jedem Klick drückte sie fest gegen die Tür. Beim fünften Mal schwang sie quietschend nach innen.
Carols Herz raste. Sie hatte Angst vor dem, was sie finden mochte. Sie nahm die Tasche und trat vorsichtig in das Dunkel, das sich wie ein gähnender Schlund vor ihr erstreckte, bereit, sie zu verschlingen.
Hastig ließ sie den Strahl ihrer Taschenlampe durch den Raum schweifen, erhaschte einen flüchtigen Blick auf Möbelstücke, Erinnerungen. Ein silbernes Schild mit einem schwarzen Dreieck. Die Ecke einer Kommode. Ein Stuhl. Und dann das schwarz lackierte Bett, auf dem eine Gestalt lag.
Jetzt bloß nicht in Panik geraten!, sagte sie sich. Wozu bist du denn hier? Alles, was im Moment zählt, ist Michael.
Sie blickte sich noch einmal in dem Zimmer um, nur um sicherzugehen, dass niemand sonst da war. Die einzige weitere Tür führte in ein Bad. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie das einzige lebende Wesen in dem Raum war, trat sie ans Bett.
Er lag auf einer Seite, beinahe so, als erwarte er, dass sie sich zu ihm lege. Carol ging hinüber auf seine Seite des Bettes und ließ den Lichtstrahl über Andrés nackten Körper gleiten. Er hatte sich nicht verändert. Doch nun, da sie beinahe sein Alter erreicht hatte, überkam sie abermals dieses unheimliche Gefühl, eine andere geworden zu sein.
Nervös stellte sie die Lampe mitsamt der Sporttasche auf dem Nachttisch ab, langte in die Tasche und holte zwei Gegenstände
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