Kind der Nacht
Hügel mit dem riesigen beleuchteten Kreuz auf dem Gipfel, das die gesamte Insel dominierte.
Beim Abendessen hatte sie gelesen, dass die Ile de Montreal, auf der Montreal liegt, im Jahr 1535 von Jacques Cartier entdeckt wurde. 1663 wurde die Stadt gegründet - gemessen an nordamerikanischen Standards war sie uralt.
Der Beschreibung gemäß bog sie nach links in die Pine Avenue ein. Nachdem sie den Redpath Crescent gefunden hatte, fuhr sie langsam die enge gewundene Straße entlang.
Es war ein wohlhabendes Viertel, das hier in den Berg getrieben worden war, so viel stand fest. Herrschaftliche Wohnhäuser lagen zwischen - eher bescheidenen Anwesen, und dennoch war ein jedes ungewöhnlich. Sie sah Häuser, die wie Chalets aussahen, und eines, ganz von Efeu umrankt, das jederzeit als englisches Landhaus durchgegangen wäre. Andere waren in modernerem Stil errichtet, aus interessanten Materialien, architektonische Wunderwerke, die ihresgleichen suchten. Ein jedes dieser Anwesen verfügte über eine eigene Zufahrt, die von der Straße aus steil bergan führte.
Die Nummer 777 fügte sich nahtlos in diese üppige Zurschaustellung guten Geschmacks ein. Das dreigeschossige Haus aus grauem Feldstein hatte getönte Fensterscheiben und passte vom Stil her eher in die Tudorzeit als nach Frankreich.
Sie parkte um die Ecke und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr: kurz vor acht. Sie nahm die Sporttasche aus dem Kofferraum und ging zu Fuß zurück zum Redpath Crescent. Auf ihrem Weg den Bürger steig entlang registrierte Carol, dass der Eingang nicht vorn, sondern z ur Seite hin lag; sie hatte Glück. Als sie die ewig lange Treppe zum Haus hinaufstieg, sah sie, dass sich ganz hinten eine Garage befand.
Carol beschloss, lieber anzuklopfen, nur um sicherzugehen, dass sich n icht etwa das Dienstmädchen oder der Chauffeur im Haus aufhielt. A ls niemand ihr öffnete, ging sie einmal ums Haus herum, um nach zusehen, wie sie sich am einfachsten Zugang verschaffen konnte. Was, wenn sie gar nicht hier wohnen?, dachte sie. Ich könnte wegen Einbruchs ins Gefängnis kommen.
Aber die Beschaffenheit der Fenster war die gleiche wie in Bordeaux - Rauchglas an den Außenscheiben und innen Plexiglas, das es, wie sie nun wusste, nicht mit Tönung gab. Die äußere Scheibe konnte sie mit einem Glasschneider überwinden. Das würde nicht allzu lange dauern, allerdings die Gefahr erhöhen, von einem Nach barn entdeckt zu werden, weil dann immer noch das Plexiglas blieb, um das sie sich kümmern musste. Es ließ sich nur von innen nach außen einschlagen, umgekehrt nicht, sodass sie auch hier schneiden müsste. Doch mit den Jahren hatte Carol sich so einiges an Wissen und Fertigkeiten angeeignet. Abgesehen davon, dass sie Schlösser knacken konnte, kannte sie sich auch mit Alarmanlagen aus. Das Kästchen innen direkt neben der Eingangstür verriet ihr, dass das Haus von einem Infrarot-Abtastsystem geschützt wurde. Das würde kein Problem darstellen, wenn sie erst einmal drin war. Die Schwie rigkeit bestand darin, rasch und unauffällig hineinzugelangen. Auf einem kleinen Aufkleber am Fenster stand, dass das Haus von einem internationalen Wachdienst beaufsichtigt wurde.
Sie ging davon aus, dass irgendwo weit entfernt ein Alarm ausgelöst werden würde, wenn sie an den Türen und Fenstern rüttelte. Innerhalb von Minuten wären Sicherheitsleute oder die Polizei zur Stelle. Am besten handelte sie schnell, und das hieß: eine Tür, und nicht die Fenster.
Sie probierte die Dietriche - im Grunde ein professioneller Satz Einbruchwerkzeug -, bis einer passte. Der Alarm musste bereits losgegangen sein, doch sie zwang sich dazu, ruhig zu bleiben, während sie am Schloss hantierte. Endlich sprang es auf.
Carol öffnete die Tür gerade so weit, dass sie hindurchschlüpfen konnte, schloss sie behutsam wieder, durchquerte - zügig, damit die Infrarotsensoren ihren Umriss nicht erfassen konnten - den Flur und versteckte sich in einem Dielenschrank, wo sie das Kommen des Wachdienstes respektive der Polizei abwartete.
Sie hörte, wie sie in die Einfahrt fuhren. Sie waren zu zweit. Sie überprüften die Türen und Fenster und gaben sich offensichtlich damit zufrieden, dass es ein falscher Alarm gewesen sein musste. Das Haus betraten sie nicht.
Im Lauf der nächsten Stunde löste Carol den Alarm noch zwei weitere Male aus. Sie hatte gelesen, dass die Polizei nach der dritten Überprüfung von
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