Kind der Prophezeiung
bettelt und ängstigt leichtgläubige Hausfrauen mit ihrem Geschwätz. Anheg hätte sie schon vor Jahren aus der Stadt treiben oder verbrennen lassen sollen.« Er kletterte wieder auf den Schlitten. »Los«, knurrte er dem Kutscher zu.
Als sie davonschossen, blickte Garion über die Schulter zurück, aber die alte Frau war nicht mehr zu sehen.
13
D er Palast König Anhegs von Cherek war ein weitläufiges, düsteres Gebäude im Zentrum von Val Alorn. Große Flügel, von denen viele halb verfallen waren und deren leere Fensterhöhlen durch eingestürzte Decken in den offenen Himmel starrten, erstreckten sich vom Hauptgebäude aus in alle Richtungen.
Soweit Garion das beurteilen konnte, lag dem Palastbau kein wie auch immer gearteter Plan zugrunde. Er war in den fast zweitausend Jahren, seit denen die Könige von Cherek hier regierten, anscheinend einfach gewachsen.
»Warum steht so viel leer oder ist zusammengestürzt?«, fragte er Barak, während ihr Schlitten über den Hof stob.
»Was einige Könige bauten, haben andere wieder verfallen lassen«, antwortete Barak knapp. »So ist das eben mit Königen.« Seit ihrer Begegnung mit der blinden Frau am Tempel war Baraks Laune alles andere als gut.
Die anderen waren bereits ausgestiegen und warteten auf sie.
»Du warst zu lange von zu Hause weg, wenn du auf dem Weg vom Hafen zum Palast verlorengehen kannst«, sagte Silk vergnügt.
»Wir wurden aufgehalten«, brummte Barak.
Oben an der breiten Treppe, die zum Palast führte, öffnete sich eine große, eisenbeschlagene Tür, als ob jemand dahintergestanden und auf ihre Ankunft gewartet hätte. Eine Frau mit langen blonden Zöpfen in einem dunkelroten, pelzbesetzten Umhang trat auf die Veranda hinaus und sah auf sie herunter. »Sei gegrüßt, Lord Barak, Graf von Trellheim und Gatte«, sagte sie förmlich.
Baraks Gesicht wurde noch finsterer. »Merel«, erwiderte er mit einem knappen Nicken.
»König Anheg gab mir die Erlaubnis, dich zu begrüßen, Graf«, sagte Baraks Frau, »wie es mein Recht und meine Pflicht ist.«
»Du hast immer sehr auf deine Pflichten geachtet, Merel«, antwortete Barak. »Wo sind meine Töchter?«
»In Trellheim, mein Herr«, sagte sie. »Ich hielt es nicht für ratsam, sie bei dieser Kälte so weit reisen zu lassen.« Ein boshafter Ton lag in ihrer Stimme.
Barak seufzte. »Ich verstehe«, sagte er.
»Habe ich einen Fehler begangen, mein Herr?« fragte Merel.
»Nicht der Rede wert«, sagte Barak.
»Wenn du und deine Freunde bereit sind«, sagte sie, »begleite ich euch in den Thronsaal.«
Barak stieg die Stufen hinauf, umarmte seine Frau kurz und förmlich und ging mit ihr durch den breiten Türbogen.
»Tragisch«, murmelte der Graf von Seltine kopfschüttelnd, als sie die Treppen zum Palasteingang hinaufgingen.
»Wohl kaum«, meinte Silk. »Schließlich hat Barak doch bekommen, was er wollte, oder nicht?«
»Du bist grausam, Prinz Kheldar«, sagte der Graf.
»Eigentlich nicht«, widersprach Silk. »Ich bin Realist, das ist alles. Barak hat sich alle die Jahre nach Merel gesehnt, und jetzt hat er sie. Ich freue mich, daß solche Ausdauer belohnt wird. Du nicht?«
Der Graf von Seline seufzte.
Eine Gruppe gepanzerter Krieger schloß sich ihnen an und begleitete sie durch ein Labyrinth von Korridoren, breite Treppen hinauf und schmale wieder hinunter, tiefer und tiefer in das weitläufige Gebäude hinein.
»Ich habe die cherekische Architektur schon immer bewundert«, sagte Silk spöttisch. »Sie steckt voller Überraschungen.«
»Den Palast zu erweitern gibt schwachen Königen etwas zu tun«, stellte König Fulrach fest. »Es ist eigentlich keine schlechte Idee. In Sendarien widmen sich schlechte Könige gewöhnlich Projekten zur Straßenpflasterung, aber ganz Val Alorn ist ja schon vor Jahrtausenden gepflastert worden.«
Silk lachte. »Das war schon immer ein Problem, Eure Majestät«, sagte er. »Wie bewahrt man schlechte Könige davor, Unheil anzurichten?«
»Prinz Kheldar«, sagte König Fulrach, »ich wünsche deinem Onkel keinerlei Ungemach, aber ich glaube, es wäre sehr interessant, wenn dir die Krone von Drasnien zufallen würde.«
»Bitte, Eure Majestät«, sagte Silk mit gespieltem Entsetzen, »das sollte man nicht einmal erwähnen.«
»Und auch eine Frau«, zischte der Graf von Seline listig. »Der Prinz braucht unbedingt eine Frau.«
»Das wird ja immer schlimmer«, sagte Silk schaudernd.
Der Thronsaal von König Anheg hatte eine gewölbte Decke, und in der
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