Kind der Prophezeiung
sie ihn an Zubrette, aber es gab auch Unterschiede. War Zubrette klein gewesen, so war dieses Mädchen groß wie ein Junge – obwohl es sich deutlich von einem Jungen unterschied. Während sie den Hügel hinunterglitt und die langen Zöpfe hinter ihr her flatterten, klang ihr Gelächter fröhlich, und ihre Wangen schimmerten rosig in der kalten Nachmittagsluft.
»Das sieht lustig aus«, sagte Garion, als ihr improvisierter Schlitten in seiner Nähe zum Stillstand kam.
»Möchtest du es einmal versuchen?« fragte sie, stand auf und klopfte sich den Schnee von ihrem Wollkleid.
»Ich habe keinen Schlitten«, sagte er.
»Vielleicht darfst du meinen nehmen«, sagte sie und sah ihn schalkhaft an, »wenn du mir etwas dafür gibst.«
»Was möchtest du denn haben?« fragte er.
»Uns fällt schon etwas ein«, meinte sie und betrachtete ihn unbefangen. »Wie heißt du?«
»Garion«, antwortete er.
»Was für ein komischer Name. Bist du von hier?«
»Nein. Ich bin aus Sendarien.«
»Ein Sendarer? Ehrlich?« Ihre blauen Augen blinzelten. »Ich habe noch nie einen Sendarer kennengelernt. Ich heiße Maidee.«
Garion neigte leicht den Kopf.
»Möchtest du meinen Schlitten nehmen?« fragte Maidee.
»Ich würde es gern versuchen«, sagte Garion.
»Ich erlaube es dir für einen Kuß.«
Garion errötete heftig, und Maidee lachte.
Ein großer, rothaariger Junge in langer Tunika glitt heran, kam in der Nähe zum Stehen und erhob sich drohend. »Komm da weg, Maidee«, befahl er.
»Und wenn ich nicht will?« fragte sie. Der rothaarige Junge stolzierte auf Garion zu. »Was tust du hier?« wollte er wissen.
»Ich habe mich mit Maidee unterhalten«, antwortete Garion.
»Wer hat dir das erlaubt?« fragte der rothaarige Junge. Er war größer als Garion und etwas schwerer. »Ich habe mich nicht damit aufgehalten, um Erlaubnis zu bitten«, sagte Garion.
Der rothaarige Junge sah ihn finster an und spannte drohend seine Muskeln. »Ich kann dich verprügeln, wenn ich will«, verkündete er.
Garion bemerkte, daß der Rotschopf streitlustig war und daß ein Kampf unvermeidlich schien. Die Einleitung – Drohungen, Beleidigungen und so weiter – würde vielleicht noch ein paar Minuten dauern, aber der Kampf würde stattfinden, sobald der Junge in der langen Tunika sich dazu entschlossen hatte. Garion beschloß, das gar nicht erst abzuwarten. Er ballte die Faust und schlug dem größeren Jungen auf die Nase.
Der Schlag war gut. Der Rotschopf stolperte zurück und plumpste schwer in den Schnee. Er hob die Hand an die Nase und zog sie hellrot wieder weg. »Sie blutet!« jammerte er anklagend. »Du hast meine Nase blutig geschlagen.«
»In ein paar Minuten wird es wieder aufhören«, meinte Garion.
»Und wenn nicht?«
»Nasen bluten nicht ewig«, sagte Garion.
»Warum hast du mich geschlagen?« wollte der Rotschopf unter Tränen wissen und wischte sich dabei die Nase ab. »Ich habe dir doch nichts getan.«
»Du wolltest aber«, sagte Garion. »Leg Schnee drauf, und stell dich nicht so an.«
»Es blutet aber immer noch«, sagte der Junge.
»Leg Schnee drauf«, wiederholte Garion.
»Und wenn es nicht aufhört?«
»Dann wirst du dich wahrscheinlich zu Tode bluten«, sagte Garion herzlos. Es war ein Trick, den er von Tante Pol gelernt hatte. Er wirkte bei dem Chereker-Jungen genauso wie bei Doroon und Rundorig. Der Rotschopf blinzelte ihn an und nahm dann eine große Handvoll Schnee und legte sie auf seine Nase.
»Sind alle Sendarer so grausam?« fragte Maidee. »Ich kenne nicht alle Sendarer«, sagte Garion. Die Dinge hatten keine gute Wendung genommen. Er drehte sich bedauernd um und ging in Richtung auf die Werft zurück.
»Garion, warte«, rief Maidee. Sie lief hinter ihm her und nahm ihn beim Arm. »Du hast meinen Kuß vergessen«, sagte sie, schlang ihm die Arme um den Hals und küßte ihn fest auf die Lippen.
»So«, sagte sie, drehte sich um und rannte lachend zurück den Hügel hinauf. Ihre blonden Zöpfe flatterten hinter ihr her.
Barak, Silk und Durnik lachten, als er zu ihnen zurückkehrte.
»Du hättest hinter ihr herlaufen sollen«, sagte Barak.
»Weshalb?« fragte Garion und errötete bei ihrem aufbrausenden Gelächter.
»Sie wollte, daß du sie fängst.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Barak«, sagte Silk, »ich glaube, einer von uns muß die edle Polgara informieren, daß unser Garion noch weiteren Unterricht braucht.«
»Du bist wortgewandt, Silk«, antwortete Barak. »Ich bin sicher, daß du
Weitere Kostenlose Bücher