Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
verharrten: ich kniend, die Waffe auf sein Gesicht gerichtet; er, zwei Meter von mir entfernt, den Hammer über den Kopf erhoben. Die Augen aufeinander geheftet. Im Augenwinkel sah ich einen Tropfen Blut aus seinem Ohr rinnen. Ich hörte das Zwitschern der Vögel und das Knacken der Äste im Gebüsch hinter mir, unglaublich friedlich.
»Jimmy«, sagte ich schließlich gefasst. »Es ist vorbei.«
Er starrte mich noch ein paar Sekunden an, und ich glaube, er wollte es tun, erwog, ob er den Mut hatte zu sterben, als sich sein Ausdruck unvermutet entspannte. Langsam und unbeholfen trat er einen Schritt zurück.
»Lass den Hammer fallen.«
Er klirrte auf den Asphalt.
» Gesicht nach unten und auf den Boden.«
Er folgte meinen Anweisungen, ging langsam auf die Knie, legte sich auf den Bauch und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Ich folgte mit der Pistole seinen Bewegungen, hielt sie auf ihn gerichtet. Zuletzt hob er den Kopf und stützte das Kinn auf dem Untergrund ab. Die Augen in leuchtendem Kontrast zu dem dunkelroten Blut in seinem Gesicht.
Zehn Minuten später war Laura da. Während wir auf sie warteten, ließen wir die Augen nicht voneinander, keiner sagte ein Wort.
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Ü berrascht?«, fragte Laura.
»Ein bisschen.«
Es war früh am Nachmittag, als wir uns – ich eher hinkend – über die Zufahrt einem zweistöckigen Gebäude an einer ruhigen Vorortstraße näherten. Die Häuser in der Nachbarschaft sahen alle gleich aus – breit, niedrig, weiß gestrichen. Auch die Gärten waren äußerst gepflegt. Ein paar Häuser weiter pulsierte, verborgen hinter einer niedrigen Hecke, ein Rasensprenger. Als wir die Straße hinaufgefahren waren, hatte ich einen alten Mann gesehen, der einen brummenden Rasenmäher vor und zurück schob. Es war eine gediegene Gegend. Sehr ordentlich, ein Viertel für die obere Mittelschicht, und sehr teuer.
»Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber das sicher nicht.«
Ausgerechnet hier wohnte der zwanzig Jahre alte James Miller bei seinen Eltern. Welten trennten dieses Anwesen von dem, wo er meiner Vorstellung nach aufgewachsen war. Beim Anblick der sonnendurchfluteten Straße war es kaum zu begreifen, dass es hier einen Ort geben konnte, der dunkel genug war, ein solches Monster hervorzubringen – aber natürlich sah ich nur die Fassaden. Und was heißt schon Wohlstand? Das Böse, das sich hinter geschlossenen Türen abspielt, braucht eben geschlossene Türen.
Wir standen jetzt davor.
»Was macht dein Bein, Hicks?«
»Ganz gut«, sagte ich. »Mach dir keine Sorgen.«
»Dann beruhige dich.«
»Ich bin doch ruhig.« Ich streckte die Hand aus und klopfte. »Mir geht es gut, und ich bin ganz ruhig.«
Aber ich war es nicht.
Die Verletzung an meinem Bein hatte sich als nicht sehr schwerwiegend herausgestellt. Es würde einen riesigen Bluterguss geben. Der Muskel war eigentlich nur geprellt, so dass ich einigermaßen gehen konnte. Die Verletzung, die ich tief in meinem Inneren davongetragen hatte, wog stärker. Die Panik, die Angst – das Gefühl, sterben zu müssen, steckten mir in den Knochen. Jetzt sogar noch schmerzhafter, fast demütigend. Auch das Schlachtfeld im Wald ging mir nicht aus dem Kopf. Und das, was James Miller mit diesen Menschen gemacht hatte.
Ich war einfach stinkwütend.
Es ging mir nicht gut, und ich war auch nicht ruhig.
Ich hörte, wie innen eine Kette vorgelegt wurde. Einen Augenblick später öffnete sich die Haustür einen Spaltbreit, und eine Frau lugte hinaus. Mitte fünfzig, klein und argwöhnisch, sonnengebräunter Teint und drahtiges, ergrautes Haar. Seine Mutter, nahm ich an.
»Janine Miller?« Ich zeigte ihr meine Polizeimarke. »Ich bin Detective Andrew Hicks. Das ist Detective Laura Fellowes. Würden Sie die Kette bitte lösen.«
Nervös schnellte ihr Blick zwischen uns hin und her.
»Was ist los – worum geht’s?«
»Wir haben einen Durchsuchungsbefehl. Es geht um Ihren Sohn, James. Bitte.«
Ich reichte ihr das Papier durch den Türschlitz. Sie wollte es jedoch nicht zur Kenntnis nehmen.
»James? Wo ist er? Was ist mit ihm?«
»Er ist auf dem Polizeirevier.«
Er musste noch vernommen werden. Seit er verhaftet worden war, hatte er nur vor sich hin gestarrt, ohne die geringste Gemütsregung – Wut und Hass schienen von ihm abgefallen zu sein. Gesprochen hatte er nur, um seinen Namen und den Wohnort preiszugeben und um zu erklären, dass er verstanden hatte, was ihm vorgeworfen wurde.
Außer dem Hammer hatten wir noch
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