Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
Zentrum war voller illegaler Leute und Geschäfte, voller Menschen mit einer notorischen Abneigung gegen die Polizei. »Und das hat fast immer etwas mit Drogen zu tun. Den Zusammenhang kann ich aber in diesem Fall nicht entdecken, du?«
Laura zuckte mit den Schultern. »Auf den ersten Blick nicht. Aber man kann nie wissen.«
»Schließlich hatte sie zwei respektable Jobs.«
»Genau. Wir wissen, dass sie das Geld brauchte. Also könnten doch Drogen oder Schulden im Spiel sein.«
Ich dachte darüber nach. Das war eine Möglichkeit. Leih dir Geld von den falschen Leuten, und schon hast du gute Chancen auf handfeste Probleme, wenn du es nicht zurückzahlst. Jeder, der das mitbekäme, würde vermutlich zu dem Schluss kommen, sich besser rauszuhalten, statt es ausgerechnet uns zu stecken.
Wirtschaftsverbrechen.
»Gut«, sagte ich. »Wir können den Gedanken gern weiterspinnen. Wer sind die Straßendealer in der Gegend? Ich habe sie gerade nicht im Kopf.«
»Ich auch nicht.«
»Ich weiß nicht, ob ich das glauben soll.«
Laura seufzte. »Ich auch nicht.«
»Und es würde unser zweites Opfer nicht erklären, oder?«
»Nein. Es sei denn, er ist einfach vorbeigekommen, war betrunken, und der Killer ist ihm gefolgt, um sicherzugehen, dass er nichts gesehen hat.«
»Ist das eine Theorie?«
»Na ja, so was Ähnliches.«
»Völlig haltlos.«
Sie seufzte wieder. »Ich weiß.«
Ich griff nach meiner Kaffeetasse, und einen Moment saßen wir wieder schweigend da. Niemand hat aus dem Fenster gesehen. Auf der Straße war zu dem Zeitpunkt anscheinend auch niemand gewesen. Die Sache mit den Schulden glaubte ich nicht, aber irgendeine Erklärung musste es ja geben.
Es klopfte an der Tür. Ein Polizist öffnete sie, ohne auf eine Antwort zu warten.
»Nicht stören!«, brüllte ich.
»Tut mir leid, Sir.«
»Wir sind in einer wichtigen Besprechung. Wichtig. «
Laura warf mir einen vernichtenden Blick zu.
»Sei still, Hicks. Was gibt’s?«
»Simon Duncan ist unten. Er fragt nach, wer von Ihnen bei den Obduktionen dabei sein möchte?«
Laura sah mich an. Ich hob entschuldigend die Hände.
»Ich nicht.«
»Schon gut, ich gehe.« Sie stand auf. »Und was machst du in der Zeit? Hier bleiben und Däumchen drehen?«
»Nee«, sagte ich. »Ich werde mich im Osten ein wenig umsehen. Vielleicht finde ich heraus, wer unser Obdachloser ist.«
»Sehr schön.«
»Eine Drecksarbeit. Aber irgendjemand muss es ja machen.«
Auf ihrem Weg zur Tür warf Laura mir ein halbherziges Lächeln zu. Verglichen mit meinem Job im Osten waren die Obduktionen ein Kinderspiel.
»Ganz genau«, meinte sie.
9
I n unserer Stadt gibt es eine U-Bahn-Linie mit sechs Stationen. Die Strecke, nur wenige Meilen lang, verläuft unterhalb der südlichen Hälfte der Stadt, unter der malerischen Altstadt und den Geschäftsvierteln hindurch, folgt im Wesentlichen der Biegung des Flusses und wird hauptsächlich von Touristen und Berufstätigen genutzt. Die ganze Strecke legt man ratternd und rumpelnd in etwa zwanzig Minuten zurück. Die Geschwindigkeit der Züge zwischen den Stationen reicht aus, um von den offenliegenden Rohren und Gängen, an denen sie vorbeipoltern, nichts zu bemerken. Unterirdische Tunnel, die gar nicht so verlassen sind, wie man annehmen könnte.
Eigentlich sollte die U-Bahn acht Stationen haben, aber aufgrund von Fehlkalkulationen oder, um es deutlicher zu sagen, veruntreuten Geldern, wurden nur sechs fertiggestellt. Daher gibt es an jedem Ende zwei Stationen, die niemals fertig wurden, trotzdem aber nicht verlassen sind. Es sind die ersten offiziellen Haltestellen der Stadt unter der Stadt: eine im Osten, die andere im Westen.
Da unser zweites Opfer ganz in der Nähe des östlichen Endes der Stadt gefunden worden war, machte ich mich dorthin auf den Weg.
In der Rushhour kam ich nur langsam voran, war aber trotzdem noch vor neun an der verwaisten Station. Alles, was von dem ursprünglichen Bauwerk übrig geblieben war, war eine schwarze Tür mit einer eingerosteten Kette mitten davor und einem in Augenhöhe darauf gemalten roten Kreis. Ein viel größerer Zugang war von den für diese Gegend typischen Läden okkupiert worden: verrammelte Spirituosengeschäfte, Buchmacher, ein tristes Postamt. Müllsäcke drängten sich vor den Mauern, als wollten sie sich vor der Kälte schützen. Mehr als Menschen waren Tauben hier zu sehen, von denen die meisten aus unerfindlichen Gründen auf verdreckte Stellen auf dem Bürgersteig
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