Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
Vicki Gibson überfallen hatte, hatte ihr den Kopf und das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit eingeschlagen. Nicht einmal der Zahnstatus würde sich mehr ermitteln lassen, überlegte ich, während ich die Verletzungen einer fachmännischen Überprüfung unterzog. Die Stirn war vollständig eingedrückt, der Hals hingegen unberührt und makellos, darüber ihr welliges Haar. Alles dazwischen war weg.
»Irgendwelche Anzeichen, dass sich das Opfer gewehrt hat?«
Simon schüttelte den Kopf. »Vermutlich hat der erste Schlag gereicht, sie außer Gefecht zu setzen. Entweder hat er sie durch die Hecke gezerrt, oder sie ist durch den Schlag in diese Richtung gefallen.«
»Zu früh, um Genaueres zu sagen«, bemerkte ich.
»Ja. Sicher ist jedenfalls, dass er viele Male auf sie eingeschlagen und auch dann nicht von ihr abgelassen hat, als sie schon tot war. Sieh dir die Stirn an, das spricht für sich.«
Natürlich, das war nicht zu übersehen.
Ich ging in die Hocke und betrachtete ihre Hände.
»Kein Sexualverbrechen?«
»Bisher haben wir keine Hinweise darauf.«
»Auch kein Raubüberfall.«
»Kreditkarten und Geld sind noch in der Handtasche.« Wieder zog er eine Augenbraue hoch. »Das bringt dich doch nicht etwa aus dem Konzept, oder?«
»Sag ich dir noch nicht. Waffe?«
Simon schüttelte den Kopf. »Auch dazu können wir noch nichts Genaues sagen. Jetzt nicht, und möglicherweise überhaupt nicht. Aber, da wir die Waffe nicht gefunden haben, vermute ich, dass es etwas Kleines, Hartes sein muss. Ein Hammer oder ein Rohr. Vielleicht auch ein Stein. Auf alle Fälle etwas, das sich in der Hand tragen lässt.«
Ich nickte. Die Waffe musste hart genug sein, um ein solches Desaster anzurichten, gleichzeitig aber auch wieder leicht genug, dass der Mörder sie nach vollendeter Tat mitnehmen konnte: etwas, das die Wucht eines Steins zur Wirkung brachte, ohne so schwer zu sein. Natürlich war das ein grauenhafter Gedanke. Ein massiver Stein könnte eine solche Verletzung mit nur einem oder zwei Schlägen anrichten. Mit einem Hammer hätte es um einiges länger gedauert und vieler, vieler Schläge mehr bedurft.
Das bedeutete aber auch, dass eine Affekthandlung möglicherweise auszuschließen war. Der Täter hatte die Waffe höchstwahrscheinlich bei sich gehabt und sie anschließend wieder mitgenommen. Und die Brutalität deutete auf ein persönliches Motiv hin. Nicht immer, aber in der Regel schon.
»Na los, Sherlock Hicks, raus mit der Sprache.«
Ich erhob mich.
»Der Ex-Mann.« Dann korrigierte ich mich: »Oder Ex-Freund. Sie hat früher einen Ring getragen, jetzt aber nicht mehr. Vielleicht ein Verlobungsring.«
»War nie verheiratet.« Laura neigte den Kopf. »Aber die Leute von der IT gehen gerade ihre Akten durch. Sollten Anzeigen oder einstweilige Verfügungen vorliegen, dann werden wir es bald wissen.«
»Gibt es bestimmt«, sagte ich.
Es mag seltsam klingen, aber ich fühlte mich etwas besser. So schlimm dieser Mord auch war – und er war wirklich gemein –, wusste ich doch, dass es eine Erklärung dafür geben würde, schließlich gibt es für jeden eine. Ich behaupte nicht, dass die Erklärung immer zufriedenstellend oder vernünftig ist, und ich behaupte auch nicht, dass sie immer ausreichend ist, aber einen Grund gibt es immer, und für die Person, die die Tat begangen hat, ergibt es immer einen Sinn.
Tatsache ist, dass die meisten Verbrechen simplen statistischen Regeln folgen. Die überwiegende Zahl weiblicher Mordopfer beispielsweise wird von einer Person umgebracht, die sie kennen. In den meisten Fällen ist das der aktuelle Partner oder der Verflossene. Landesweit sterben pro Woche zwei Frauen durch die Hand von Männern, die sie angeblich lieben, dies einmal behauptet haben oder sich nur ausgemalt haben, es sei so. Da sowohl ein Raubüberfall als auch ein Sexualverbrechen ausgeschlossen werden konnten, war der Ex-Freund die naheliegende Lösung. Die meisten Morde im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt geschehen in der Wohnung, und dieser Fall hier war nah genug dran. Irgendjemand hatte gewusst, wo und wann er sie finden konnte. Und je mehr ich darüber nachdachte, sprach auch die Tatsache, dass Vicki Gibson mit ihren zweiunddreißig Jahren mit ihrer Mutter zusammenlebte, eher für einen ehemaligen als für einen aktuellen Freund.
Sehr bald, davon war ich überzeugt, würden uns die IT-Leute, vielleicht auch Carla Gibson selbst, den Namen eines Mannes liefern. Bestimmt hatten Vicki oder ihre Mutter
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