Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
raunt ihm ein Psst zu, was aber nichts nützt. Ganz im Gegenteil. Es fühlt sich an, als würde der kleine Racker Purzelbäume darin schlagen.
Bei der Vorstellung muss sie lächeln.
In den ersten Monaten ihrer Schwangerschaft war es schwer gewesen zu glauben, dass sich der Anfang menschlichen Lebens in ihr befand. Sie hatte sich nicht vorstellen können, wie es sich in der vierunddreißigsten Woche anfühlen würde. Nämlich dass es unmöglich sein würde, sich das nicht vorstellen zu können, dieses neue Leben in ihr, das jetzt nur noch Wochen davon entfernt war, ein richtiges Baby zu sein.
Bevor sie dreißig war, als sie auf gar keinen Fall Kinder haben wollte, war das ein Gedanke, den auch nur vage in Betracht zu ziehen sie ängstigte. Das Gefühl, dass etwas in ihr heranwuchs, hatte ihr einen Schauder über den Rücken laufen lassen. Schon allein die Geburt hatte ihr Angst gemacht, aber die Vorstellung, zu einem Inkubator zu mutieren, war ihr noch fremder gewesen. Deshalb hatte es sie überrascht, wie schnell sich das geändert hatte – wie sehr sie die Vorstellung nun eigentlich sogar mochte. Auch wenn sie die Geburt selbst immer noch fürchtet, hat sie sich damit schon fast arrangiert. Ein bisschen freut sie sich sogar darauf.
Während sie sich über den Bauch streicht und bei Jakes Bewegungen lächelt, denkt sie: Ich kann es gar nicht erwarten, dich kennenzulernen. Er ist so lebhaft. Es fühlt sich an, als sei er überglücklich und würde vor lauter Übermut Pirouetten drehen. Wenn sie von ihm träumt, malt sie ihn sich als ein einziges großes Lächeln aus. Schmerzen und Qualen während einer Schwangerschaft sind beschwerlich, trotzdem stellt sie sich vor, dass ihr Körper ihn schon hält – ihn umarmt, genauso, wie sie es tun wird, wenn er kommt –, und es fühlt sich an, als könnte sie all die Entbehrungen sogar ewig ertragen, wenn es denn sein müsste.
Zum Glück ist es nicht so.
Es dauert nicht mehr lange. Sie stellt sich gern vor, dass er ihre Gedanken versteht. Du machst dich bereit, kleiner Mann, weil du diese Welt lieben wirst.
Während die letzten Tropfen Kaffee aus der Maschine sickern, spürt sie Tony hinter sich in die Küche kommen. Wie immer hat er es eilig, muss sich beeilen, um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen. Das Haar nass vom Duschen, das Hemd noch nicht in die Hose gesteckt, nestelt er an der Krawatte herum, die er in der Arbeit eigentlich gar nicht tragen muss.
»Hallo, Schatz«, wirft sie ihm über die Schulter zu.
»Hmm, Kaffee – danke. Du bist die Größte.«
»Na ja, wenn du dir schon nicht die Zeit zum Frühstücken nimmst, dann nimm wenigstens das zu dir.«
»Was du nicht sagst.«
Sie gießt ihm eine Tasse ein. Es ist noch genug für eine zweite übrig. Die kann sie sich nehmen, wenn er gegangen ist. Anfangs hat sie gewissenhaft alles gemieden, wovon man ihr abgeraten hat, aber mit der Zeit hat sie sich etwas entspannt. Hin und wieder ein Tässchen kann sicher nicht schaden. Die Ratschläge scheinen sich sowieso wöchentlich zu ändern.
»Habe ich dich letzte Nacht wach gehalten?«, fragt sie ihn.
»Selbst wenn, würde ich es dir nicht sagen. Wie geht’s Jake?«
»Er ist heute früh sehr lebhaft. Das liegt am Kaffeeduft. Hab ich dir ja gesagt.«
»Vielleicht hast du recht.«
Den Duft frisch gebrühten Kaffees liebt sie über alles, und vielleicht auch, weil sie es gern so hätte, ist ihr aufgefallen, dass Jake schon ein paarmal darauf reagiert hat. Selbsterfüllende Prophezeiung hat Tony ihr erklärt, womit er sagen wollte, dass sie zu sehr auf sich wiederholende Muster fixiert war und sich besser an Zeiten erinnern konnte, in denen er anfing, in ihr herumzuturnen, als an die, in denen er das noch nicht tat. Ihr Mann ist viel zu vernünftig, und dafür liebt sie ihn und für das Gefühl von Sicherheit, das er ihr vermittelt.
Wie aufs Stichwort schlingt er seine Arme von hinten um sie und streicht ihr mit den Händen sanft über den Bauch. Aus dieser Nähe bemerkt sie den Duft seines Aftershaves und darunter seinen. Er ist immer so männlich, ohne es jemals spielen zu müssen. Groß und stark. Der Typ Mann, dem keine Arbeit zu schwer und keine Aufgabe zu kompliziert ist.
Jake tritt ihm gegen die Hand.
»Spürst du das?«, fragt sie.
»Ja.«
»Er wird bestimmt Fußballer.«
»Das oder ein richtiger Gangster.«
Sie gibt ihm einen leichten Klaps auf die Hand. Er zieht sie weg und reicht um sie herum, um sich seinen Kaffee zu nehmen.
»Na ja, ich
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