Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
schlängelten sich Kabel.
Wir befanden uns im legendären LG15, dem Darkroom, von dem jeder auf dem Revier wusste. Ihn aufzusuchen war allerdings eine verhasste Vorstellung, auch wenn nur wenige jemals wirklich in die Verlegenheit kamen, dorthin zu müssen. Es war das Reich der hochspezialisierten »live IT«-Gruppe, die sich mit den dunkleren Seiten der Online-Recherche befasste.
An der Wand neben mir befand sich eine Art CD-Regal, nur mit breiteren Schlitzen. In jedem steckte eine nackte Metall-Festplatte, alle mit Kugelschreiber bekritzelt. Alles Namen. Emily. Adam. Sally. Will. Und jeder einzelne dieser Namen stand für ein »Kind«, eine falsche Identität, getrennt voneinander geführt, die DS Renton und sein kleines, handverlesenes Team von Ermittlern benutzte, um sich in die Chatrooms und Online-Foren von Pädophilengruppen einzuschleusen.
Dann gab es auch reihenweise CDs, auf denen Unterhaltungen gespeichert und – schlimmer noch – die vertraulichen Daten aus den Ermittlungen sichergestellt wurden: Fotos und Videos. Bilder aller Art wurden in dieser Räumlichkeit analysiert, zugeordnet und katalogisiert.
Eine wichtige, aber auch schwierige und widerwärtige Arbeit, die hier unten, hinter verschlossenen Türen, in einem fensterlosen Kellerraum verrichtet wurde. Wer hier arbeitete, wurde sogar noch strenger überwacht und musste sich noch häufiger psychologischen Tests unterziehen als Kollegen mit einer Lizenz zum Tragen von automatischen Waffen.
Renton ließ sich an einem Schreibtisch nieder und bedeutete mir, dass ich mich neben ihn setzen sollte. Gleich darauf drückte er ein paar Tasten und erweckte den Monitor zum Leben.
»Ich habe die Datei bekommen«, sagte er, »konnte sie mir aber noch nicht ansehen. Erlauben Sie?«
»Kein Problem, machen Sie nur.«
Ihn zu warnen erschien mir überflüssig in Anbetracht der Dinge, die er im Dienst schon zu sehen bekommen hatte.
Schweigend sah er sich das Video an. Instinktmäßig wollte ich wegsehen, tat es mir stattdessen aber noch einmal an, in der Hoffnung, irgendetwas zu entdecken, das ich beim ersten Mal übersehen hatte. Irgendeinen Hinweis.
Es war zwar jetzt etwas leichter, das Video erneut zu sehen, da ich es kannte, aber trotzdem war es schwer auszuhalten. Was sich da auf dem Bildschirm abspielte, traf einen mitten ins Herz, mitten in den Kopf und vielleicht auch noch tiefer. Ich habe in meinem Dienst schon eine Menge Leichen gesehen, aber zuzusehen, wie jemand umgebracht wird, das war etwas vollkommen anderes. Die Tat war pervers. Wie konnte jemand so etwas tun? Wie konnte jemand so bösartig und gefühlsarm sein, dass er es fertigbrachte, einen anderen auf so grausame Weise leiden zu lassen?
Glauben Sie an das Böse?
Renton war mittlerweile professionell und abgeklärt, abgestumpft aber war er nicht. Was er sah, schien ihm nahezugehen – sollte sich das ändern, wäre es höchste Zeit, den Dienst zu quittieren, wenn er nicht den Verstand verlieren wollte.
Als der Clip zu Ende war, lehnte er sich zurück und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.
»Was für eine Scheiße. Erzählen Sie mir mehr.«
»Das hier ist ein Beweismittel aus einer laufenden Ermittlung. Die Aufzeichnung ist ein paar Tage alt – jedenfalls scheint es so, als diese Fassung erstellt wurde. Sie wurde uns mit der Post in einem Brief zugestellt. Den Kerl haben wir noch nicht.«
»Ist er das?«
»Ja. Im Augenblick wissen wir nicht, wo diese Stelle ist, auch kennen wir die Identität der sechs Leichen nicht, die darauf zu sehen sind. Sie werden verstehen, dass wir sehr gern mehr wüssten.«
Renton atmete tief aus.
»Da kann ich Ihnen behilflich sein. So etwas haben wir schon oft gemacht. Dazu suchen wir uns in einem ersten Schritt zunächst einmal die hilfreichen Bilder heraus.«
Renton erklärte, was er und seine Kollegen tun würden. Akribisch würden sie sich Bild für Bild ansehen, um sicherzugehen, dass wir nichts übersehen hatten. Dann würden sie die klarsten Aufnahmen von den Kleidungsstücken heraussuchen, die das Opfer am Leib trug. Anhand der Liste vermisster Personen wäre eine Identifizierung vielleicht möglich.
»Meinen Sie, Sie kriegen da etwas raus?«
»Was haben wir zur Verfügung?«
Er meinte Geld. »In diesem Fall«, sagte ich, »so viel wir brauchen.«
»Das hab ich mir schon gedacht. Gut. Dann kümmern wir uns zunächst einmal um die Orientierungspunkte. Auf den ersten Blick war nichts zu erkennen. Vielleicht finden wir etwas, womit wir das
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