Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
Und das weißt du besser als irgendjemand sonst.«
Sie hatte recht. Die Wahrscheinlichkeit, dass unser Sohn genauso glücklich und zufrieden aufwachsen würde wie jedes andere Kind auch und dass ihm nichts Böses zustoßen würde, war ziemlich hoch. Die Welt kann schön, aber auch sehr grausam sein. Viele Menschen erleben sie als schön mit kurzen, schmerzhaften Momenten aus der grausamen Welt, und es gab keinen Grund zu glauben, dass es bei unserem Sohn anders sein würde.
Rachel sagte: »Deine Arbeit …«
»Lässt mich immer das Schlimmste befürchten.«
»Deine Sichtweise ist völlig verzerrt.«
»Und das macht mich blind. Ich weiß.«
Ich nickte, denn sie hatte recht mit allem, was sie sagte. Ja, ich konnte meinen Sohn beschützen. Ich konnte ihn lehren, sich zu verteidigen, und ihm die Leute und Orte zeigen, von denen er sich fernhalten musste. Rachel schien erleichtert zu sein. Sie dachte, dass ich ihr jetzt endlich erzählte, was mich all die Monate umgetrieben hatte. Es war jedoch nur ein geringer Teil dessen, was mich tatsächlich beschäftigt hatte – der unverfänglichere Teil vermutlich –, aber dieses unvermutete Schwinden der Kluft zwischen uns fühlte sich so gut an, dass ich es dabei beließ.
»Das weiß ich doch«, fuhr ich fort. »Es fällt mir aber trotzdem schwer. Ich habe Angst. Obwohl ich das alles weiß, habe ich trotzdem Angst.«
»Und genau deshalb wirst du auch ein sehr guter Vater sein.«
»Meinst du?«
»Ja, weil du ein guter Mensch bist.« Sie sah mich lange und eindringlich an und seufzte schließlich. »Weißt du, dass du mir schon seit Monaten nicht mehr so viel erzählt hast?«
»Tut mir leid.«
»Muss es nicht. Ich bin froh, na ja, ich meine, ich bin froh, dass du es endlich getan hast. Du wirst sehen, alles wird gut. Du musst daran glauben, Andy, ich vertraue dir.«
»Wirklich?«
»Das habe ich immer schon, und ich sehe keinen Grund, es nicht mehr zu tun. Na ja, ein paar Gründe gäbe es schon. Aber die sind nicht mehr so wichtig. Danke.«
Ich lächelte sie an, und sie lächelte zurück. Es war sehr schön, aber ich fühlte mich schuldig.
Du bist ein guter Mensch.
Nein, Rachel, das bin ich nicht.
Und fast hätte ich etwas gesagt – etwas über Buxton vielleicht oder über Emmeline Lewtschenko –, aber in dem Augenblick kam sie zu mir und umarmte mich. Einen Augenblick später liebkoste auch ich sie, so sanft und so heftig, wie ich nur konnte, und was immer ich hatte sagen wollen, löste sich auf in dem Gefühl ihrer Gegenwart. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wann wir uns das letzte Mal so unbeschwert umarmt hatten. Sie fühlte sich in meinen Armen wie eine Fremde an und zugleich wie jemand, der mir auf schmerzliche Weise vertraut war.
»Und dieser Fall wird es dir nicht leichter machen.«
»Nein.«
»Weil der Kerl völlig willkürlich zuschlägt?«
»Wir können kein Muster erkennen, und deshalb können wir ihn nicht stoppen. Solange er da draußen ist, können wir die Menschen nicht schützen.«
»Ja, dann …« Ich spürte ihr Kinn an meinem Schlüsselbein und ihren warmen Atem an meinem Hals. Unser Sohn in ihr drückte mir gegen den Bauch. »Dann weißt du doch, was du zu tun hast, oder?«
»Was?«
»Du musst den Scheißkerl schnappen.«
Ich nickte. Alles andere war unwichtig, sie hatte recht.
»Du musst ihn schnappen.«
Neunter Tag
36
E r spielt mit uns«, sagte Laura.
»Ich weiß.«
»Es gibt kein Muster.«
»Ich fürchte, du hast recht.«
Sie sah mich überrascht an. »Und das aus deinem Munde.«
»Warum nicht?«
»Normalerweise würdest du dich, auch wenn du genauso dächtest, immer noch um allgemeine Prinzipien streiten.«
Ich zuckte mit den Schultern. Wir saßen an einem Tisch in der Ecke des Einsatzraums und gingen sämtliche Details wieder und wieder durch. Eine eher nervtötende Verrichtung, für die ich aber nicht unbedingt undankbar war. Vielleicht war ich aber auch nur dankbar dafür, dass Franklin heute nicht anwesend war. Er wurde erst am Nachmittag zurückerwartet, so dass der Druck zumindest bis dahin ein wenig von mir genommen war.
Trotzdem waren wir keinen Schritt vorangekommen – kein Muster, nichts. Langsam reifte in mir die Überzeugung heran, dass der Durchbruch vielleicht nicht zu machen war. Dass der Scheißkerl uns die ganze Zeit an der Nase herumgeführt hatte.
»Wo du recht hast, hast du recht«, sagte ich. »Sogar du. Langsam glaube ich, dass die Briefe nur ein Ablenkungsmanöver sind und dass das ganze
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