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Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)

Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)

Titel: Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Mosby
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silbriger Schimmer gelegt, aber das Gesicht war fast faltenlos geblieben. Dieselben hellblauen Augen. Um seinen Hals erkannte ich eine dünne Kette, bei der ich jede Wette eingegangen wäre, dass genau dasselbe Kruzifix daran hing, das er als junger Polizist immer angefasst hatte.
    Als er mir gegenübersaß.
    Dieser Mann und die Art, mit der er mich damals als Kind behandelte, haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Böse. Er hatte gedacht, dass ich böse wäre. Und nicht einmal versucht, es zu verbergen. Ich hatte es so lange mir selbst gegenüber geleugnet – ich war kein böser Mensch; es gab nichts grundsätzlich Schlimmes an mir, nichts Böses –, dass mir die Verleugnung in Fleisch und Blut übergegangen war.
    Jetzt aber, wo ich ihm erneut gegenüberstand, begann der psychologische Panzer aufzubrechen. Ich fühlte mich schwach und nichtswürdig: kraftlos angesichts dieser bedrohlichen Autoritätsfigur, die mich fixierte, mir mit ihren Augen signalisierte, etwas Ungeheuerliches zu sein. Kenne ich Sie?   Ja, ich kenne Sie. Ich weiß, wer Sie sind. Die Zeit, die vergangen war, schien keine Rolle mehr zu spielen. Während ich dastand und ihn ansah, kaum zu blinzeln wagte, spürte ich all die Jahre, die hinter mir lagen, das ganze Selbstbild, das ich gewonnen hatte, wie eine einstürzende Brücke hinter mir in sich zusammensinken, sah die Trümmer auf mich zustürzen.
    Ich hob an, etwas zu sagen, brachte aber nichts heraus.
    Dann lächelte Franklin mich an. Schüttelte den Kopf.
    »Na ja, ich werde wohl alt.«
    »Wie?«
    »Ich meine, da habe ich wohl nicht richtig nachgedacht.« Er deutete ein Lächeln an, wirkte mit einem Mal wie ausgewechselt. »Mir ist gerade aufgegangen – aus dem Fernsehen natürlich, hab ich recht? Die Pressekonferenzen. Ich habe eine gesehen. Daher kenne ich Sie.«
    »Ja«, sagte ich. »Das wird es wohl sein.«
    Sichtbar entspannt lehnte er sich an die Wand. Mein Blick folgte ihm. Der Rest meines Körpers verharrte reglos, von meinem Herzen abgesehen, das zu rasen angefangen hatte.
    »Um ehrlich zu sein«, sagte er, »ich weiß im Augenblick nicht so recht, wo mir der Kopf steht. Es muss an diesem Fall liegen, glaube ich. Der schlimmste, mit dem ich je zu tun hatte. Und ich hatte es schon mit vielen zu tun.« Er sah mich an. »Wie alt sind Sie?«
    »Fünfunddreißig.«
    »Wirklich? Sie sehen jünger aus. Glauben Sie mir, Andy – wenn Sie erst mal in meinem Alter sind, wird es Ihnen auch langsam zu viel.« Er griff sich an die Brust, wo sich, wie ich mir vorstellte, unter seinem Hemd das Kruzifix verbarg. Mein Blick folgte seiner Hand. »Viel zu viel. Und dies hier … ist einfach nur böse, stimmt’s. Einfach nur böse.«
    Ohne Frage.
    Ich entgegnete: »Ich weiß nicht, ob ich an das Böse glauben soll.«
    »Wirklich? Warten Sie’s ab.« Er senkte die Hand und deutete wieder dieses Lächeln an. »Warten Sie’s ab.«
    Ich hätte darauf vorbereitet sein müssen, ihm zu widersprechen; im Geiste tat ich es seit damals. Aber ich nickte nur andeutungsweise, vollkommen überrumpelt von dem Augenblick, der jetzt gekommen war. Franklins Erscheinen hatte die zarte Hülle der Selbsttäuschung zerrissen, und jetzt wollte ich nur noch weg, mich nicht darauf einlassen, gar nicht erst versuchen, es mit ihm aufzunehmen.
    »Eigentlich ist es nur dieser Fall.« Franklin stieß sich von der Wand ab. »Er bringt mich aus dem Konzept. Ich kann bei so etwas einfach nicht mehr klar denken.«
    »Das verstehe ich, glauben Sie mir.«
    Er schüttelte den Kopf. »Erzählen Sie bitte niemandem davon, okay?«
    »Keine Sorge.« Ich bemühte mich, sein Lächeln zu erwidern. »Ich behalte es für mich.«

    Ich brauchte dringend frische Luft.
    Ich nahm den Kaffee mit, bemerkte gar nicht, wie ich mir die Fingerspitzen daran verbrannte, eilte zum Aufzug und drückte den Knopf für das Erdgeschoss. Auf dem Weg hinunter sagte ich mir:
    Er erkennt mich nicht.
    Meine Schutzmechanismen hatten stark gelitten, so dass mir unsere Begegnung erneut durch den Kopf ging. Immerhin – es stimmte. Das Zusammentreffen, das einen solchen Eindruck bei mir hinterlassen hatte, mein ganzes Leben beeinflusst hatte … er konnte sich, verdammt noch mal, nicht daran erinnern. Er hatte mich nicht angesehen und gleich den bösen kleinen Jungen gesehen, wie damals. Und er hatte nichts Schlimmes in mir erkannt. Ungeachtet all dieser Umstände war ich nicht mehr dieses Kind. Ich war nicht mehr der, von dem Franklin annahm, dass ich es all

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