Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
tot. In dieser Erinnerung trägt der alte Mann genau diese Uniform, und er hat eine Pistole in der Hand.
Ich bin Soldat, sagt sein Vater. Obwohl der General direkt hinter ihm steht und mit ihm spricht, weiß er, dass der alte Mann eigentlich mit sich selbst spricht. Fast bestürzt blickt sein Vater auf die Waffe hinab, die er in der Hand hält. Als sei er von ihrem Gewicht überrascht. Die Waffe wiegt schwerer als die vielen Verletzungen und die alten Geschichten; sie hat ein spürbares, echtes Gewicht. Sie will getragen und gehalten werden.
Ich bin Soldat, wiederholt sein Vater mit verschliffener Sprache.
Ich sollte also in der Lage sein, es zu tun.
Der General schüttelt den Kopf, verscheucht die Erinnerung – und die Erinnerung daran, was danach kam.
Sehr geehrter Herr,
Ihre Bewerbung können wir leider nicht berücksichtigen, da …
Nein. Er will nicht daran denken.
Stattdessen zieht er sich um und trägt die Gegenstände zusammen, die er braucht, bemüht, an etwas Schönes zu denken. Der Code wurde nicht geknackt! Die anderen Dinge, die missglückt sind, sind ihm nicht anzulasten – es war einfach nur Pech, ein Missgeschick, wie es jedem passieren kann. Jeder Soldat kann stolpern, insbesondere in einem so komplexen Einsatz, wie dieser es ist. Aber die Polizei ist ihm nie so dicht auf den Fersen gewesen, dass sie den Code hätte knacken und ihn schnappen können. Und das ist schon etwas. Sein Vater wäre sicher sehr stolz auf ihn.
Der General wirft einen Mantel über, beachtet das grauenhafte Ding in der Ecke des Raums hinter sich nicht und versucht, sich all das vor Augen zu führen.
Als er bereit ist zu gehen, streift er ein Gummiband um den CD-Stapel und steckt die sechzehn CDs in die Jackentasche. Nachdem er das Haus verlassen hat, lenkt er seinen Wagen in den Vormittagsverkehr und fährt auf die Ringstraße in Richtung Stadtzentrum, bemüht, den Zorn unter Kontrolle zu halten, den er verspürt.
Zeit, der Sache ein Ende zu setzen.
Er fährt zum Bahnhof.
44
W ieder zurück oben im Einsatzraum, rief ich im Lager an, um zu überprüfen, ob Lewtschenko wirklich dort angekommen war und seine Bestellung abgeholt hatte. Danach nahm ich mir ein paar Minuten Zeit, um eingehend die Straßenkarte zu betrachten.
Die Stelle befand sich draußen im Nordosten der Stadt, mitten in der Pampa. Sein Haus befand sich ebenfalls da draußen, wenn auch nicht ganz so weit außerhalb der Stadt. Die Gegend dazwischen lag innerhalb unseres Suchgebietes und war, wenn man den Berichten glaubte, schon durchforstet worden. Was nicht unbedingt bedeutete, dass man nichts übersehen hatte.
Okay. Auf der Basis der Annahme, dass Lewtschenko keine abwegige Abkürzung genommen hatte, zeichnete ich auf der Karte eine vertikale Ellipse ein. Sein Haus und das Lager befanden sich jeweils am äußersten Ende. Beim Betrachten des Gebietes dazwischen fielen mir zwei mögliche Routen ins Auge, die er mit dem Rad genommen haben könnte.
»Was machst du da?«, fragte Laura, während sie ihren Kaffee abstellte.
»Ich denke nach.«
Sie äugte auf die Karte.
»Was ist los?«
»Vermisstenanzeige. Hier ist er zuletzt gesehen worden; und hierhin wollte er.«
Ich rieb mir das Kinn. Pro Strecke würde ich eine halbe Stunde brauchen, wenn ich von seinem Haus in Richtung Lager über die eine und wieder zurück über die andere Route fuhr. Und so lange wurde Lewtschenko ja noch gar nicht vermisst. Ich war nicht einmal überzeugt, dass ihm überhaupt etwas zugestoßen war. Aber der Zufall … wäre schon sehr groß.
Mir ging das Geburtstagsrätsel wieder durch den Kopf. Dass es eine Verbindung zwischen mir und ihm gab, bedeutete gar nichts. Denn schon nach der Wahrscheinlichkeitstheorie würden sich derartige Zufälle früher oder später einfach ergeben. Sie bedeuteten möglicherweise nichts. Genauso wenig wie die Tatsache, dass Franklin aufgetaucht war. Nichts als Vergangenheit, die sich rein zufällig mit der Gegenwart mischte.
»Andy?«
»Den größten Teil des Gebietes haben wir durchsucht«, sagte ich. »Wahrscheinlich ist nichts dran.«
»Gut. Was … dann?«
Ich sagte nichts. Ich sah ihn immer noch vor mir. Lewtschenko. Ein ehrenwerter Mann, soweit ich mich erinnerte – keiner von der Sorte, die sich irgendwo herumtreiben und ihre Frau ängstigen. Aber natürlich erinnerte ich mich auch an Emmeline. Ein Schwarzweißfoto. Ein Gesicht mit einem zugeschwollenen Auge.
Ich stand auf. »Ich fahre hin.«
»Im Ernst?« Laura
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