Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
schüttelte den Kopf. »Warte mal. Was ist los, Hicks?«
»Die Frau«, sagte ich. »Ich kenne sie. Vielmehr ihren Mann. Nichts von Bedeutung. Ich will es nur überprüfen. Vielleicht ist nichts dran, aber ich will trotzdem nachsehen, nur um sicherzugehen.«
»O…kay«, sagte Laura gedehnt und sah mich an.
Jetzt siehst du Gespenster, Hicks.
» Weil ich es ihm schuldig bin«, fügte ich hinzu.
Ich bin es ihm schuldig.
Acht Jahre war es her, dass Gregor Lewtschenko mich um Hilfe gebeten hatte. Und ich hatte versagt. Hatte bei ihm, seiner Frau und – viel schlimmer noch – seiner Tochter, Emmeline, versagt.
Damals lebte sie mit einem Mann zusammen, John Doherty, der sie geschlagen hatte. Ich hatte ihrem Vater die Wahrheit gesagt: nämlich dass wir nicht viel tun könnten, wenn sie nicht bereit sei zu kooperieren. Zwei Tage später hatte Doherty Emmeline totgeprügelt.
Meine Schuld.
Weil ich meine Arbeit nicht ordentlich gemacht und sie nicht beschützt habe.
Auf dem Weg zu der langen, kurvigen Hawthorne Road draußen vor der Stadt kam ich an Gregor Lewtschenkos Haus vorbei und blieb davor stehen.
Ein Häuschen, dessen Fenster sich ausnahmen wie dunkel geränderte Augen. Nicht viel mehr als eine Hütte; ein zusammengewürfelter Haufen aus Ziegelsteinen und Wellblech. Das Grundstück drum herum war karg; nichts als Staub, Erde und ein paar kärgliche Flecken verdorrten Grases. Hühner vom benachbarten Grundstück pickten im Kies.
Es sah aus, als würde hier niemand mehr wohnen, aber die beiden lebten darin. Und hier war Emmeline aufgewachsen. Sie waren eine grundanständige, hart arbeitende Familie gewesen, die vom Leben nie mehr erwartet hatte, als dass die Leute, die sich kümmern und sie beschützen sollten, das auch taten. Das war nicht zu viel verlangt. Es hätte nicht passieren dürfen.
Ich war es ihnen schuldig, fertig.
Auch war da wieder dieses Gefühl – stärker denn je –, verstrickt zu sein. Ein Teufelskreis aus Ursache und Wirkung, dessen Verknüpfungen, die im Verborgenen fest zusammenhielten, sich mir nur kurz zeigten. Und die Ahnung, dass bei dem, was sich jetzt ereignete, die Gegenwart einen Teil der Geheimnisse aus der Vergangenheit nicht mehr zu verbergen vermochte.
Alles offenbart sich.
45
I ch fuhr Richtung Nordosten, ohne genau zu wissen, wonach ich eigentlich suchte. Es war ruhig auf den Straßen hier draußen: ein Gürtel, der den nördlichen Stadtrand umschloss und sich hier und da zu vereinzelten Fabriken oder abgelegenen Anwesen erstreckte, sonst nichts.
Die Gegend war zum Teil verwildert. Der längste Teil der Fahrt führte mich durch Wald: Beide Seiten der Straße wurden von einer Wand von Bäumen gesäumt, deren Äste sich stellenweise über mir ineinander verschlangen, so dass ich wie durch eine Art natürlich gewachsenen, von Blättern beschirmten Tunnel fuhr, in dem sich Schwärme von Mücken tummelten. Die Morgensonne legte ein buntgeflecktes Tuch über alles. Dort, wo die Bäume weniger dicht beieinanderstanden, ließ sie größere Flächen von Asphalt hell schimmern. Hier und da liefen Rehe neben der Straße zwischen den Bäumen umher, kaum mehr als Schatten, die sich in meiner Wahrnehmung erst zur Silhouette eines Tieres zusammensetzten, als sie schon wieder verschwunden waren.
Ich hatte das Fenster heruntergekurbelt, den Ellbogen hinausgestreckt und lauschte dem Knistern im Unterholz und dem Zwitschern der Vögel.
Über weite Strecken war ich allein unterwegs. Die wenigen Autos, die mir entgegenkamen, waren alte, verrostete Kleinlaster, ein paar Roller, hier und da ein Radfahrer. Ich fuhr langsam, der Asphalt rauschte gleichmäßig unter den Reifen hinweg, und ich hielt alle meine Sinne auf ein Zeichen gerichtet, ohne zu wissen, welches es sein würde. Was könnte es hier geben, das einem auffallen würde?
Trotzdem …
Schon trat ich auf die Bremse – schärfer, als ich es beabsichtigt hatte.
Etwas hatte meine Aufmerksamkeit geweckt. Ich war erst nicht sicher, was es war. Während aber der Wagen zum Stehen kam, vernahm ich ein leises Rascheln und begriff, dass es das gewesen war. Nur ein Geräusch. Eine kaum hörbare Veränderung der Beschaffenheit der Straße unter den Reifen.
Ich sah in den Rückspiegel, konnte aber nichts entdecken. Und so zog ich die Handbremse an und stieg aus.
Sogleich umfing mich der Duft der Landschaft. Die Gegend fühlte sich frisch, reichhaltig und lebendig an; eine leichte Brise, durchdrungen von der kräftigen Würze des
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