Kind des Glücks
plötzlich erkannt, daß er über Dinge geplaudert hatte, die eine Versuchsperson wie ich besser nicht erfahren sollte. Tatsächlich trug diese Offenheit auch wenig dazu bei, seine moralische Rechtfertigung oder die der Sanatorien von Ciudad Pallas in meinen Augen glaubwürdiger zu machen – und sie erhöhte außerdem nicht gerade mein Vertrauen auf seine Sorge um das persönliche Wohlbefinden der Versuchspersonen oder Patienten.
In der Vorstellung, jeden gewünschten Bewußtseinszustand nach Belieben herzustellen, lag für mich etwas Abstoßendes, denn die Frage, die sich sofort erhob, war, wessen Vorgaben man dabei zu folgen hatte. Und nach seiner widerwärtigen Begeisterung für die ekelhafte Aufgabe, jenen elenden, psychisch gestörten Zustand, der für die Berufung zur Raumpilotin erforderlich war, zum Nutzen des interstellaren Handels künstlich hervorzurufen – von seinem eigenen Profit ganz zu schweigen –, mußte dieser Zustand nicht unbedingt förderlich für das persönliche Glück der Versuchsperson beziehungsweise des Opfers sein.
Soll heißen, daß der Bewußtseinszustand, den seine Worte bei mir hervorriefen, nur als eine gewisse Furcht beschrieben werden kann. Denn was sollte nun mit mir passieren?
Vraiment, dieser Gedanke hatte sich kaum in meinem Bewußtsein gebildet, da gewahrte ich auch schon, daß etwas geschah.
Ein seltsam hohles, kitzelndes Gefühl kroch langsam meinen Rücken herauf und meine Glieder entlang; es entsprang einem Punkt, der in Höhe des Chakras an der Wurzel der Wirbelsäule zu liegen schien. Es war nicht so sehr ein Verlust an Gefühl, als vielmehr eine Verlagerung des kinästhetischen Körperbildes – als würden meine Wirbelsäule, dann die Knochen meiner Glieder und das Fleisch, das sie umhüllte, zu einer durchsichtigen, ektoplasmischen Substanz aufschäumen; durchsichtig nicht so sehr für das Auge, sondern für mein kinästhetisches Körpergefühl.
»Die Effekte beginnen, ja?« sagte der Professor, während er mich gespannt beobachtete. »Sprechen Sie, schnell bitte, bevor das nächste Stadium beginnt!«
»Je ne sais pas… «, stammelte ich heftig zitternd. »Ich… ich scheine zu verdampfen… mein Fleisch verwandelt sich in Luft… in flüssige Kristalle… in… in…«
»Oh, wonderful! Alles ganz normal!«
Normal? Der Effekt breitete sich immer schneller aus. Meine Arme und Beine, dann die Hände und Füße, wurden ätherisch irreal, für die kinästhetische Wahrnehmung so durchsichtig wie Glas im Licht. Vraiment, ich konnte stehen, konnte die Füße beugen, die Finger bewegen, und doch konnte ich die Glieder irgendwie weder fühlen noch sehen, nicht einmal willentlich kontrollieren; sie waren einfach nicht da…
»Reden Sie! Erzählen Sie! Bitte, sprechen Sie, wir brauchen Daten!«
»Ich löse mich auf!« rief ich verängstigt. »Ich zerschmelze!« Denn jetzt schien mein ganzer Körper vom Standpunkt der kinästhetischen Gehirnzentren sich in Nichts aufzulösen. Obwohl ich ihn sehen, ihn bewegen, sogar den Druck des Bodens unter den Füßen spüren konnte, hatte sich mein Bewußtsein auf eine Weise, die ich nicht verstand, meine Wirbelsäule hinauf in den Schädel zurückgezogen, als löste sich mein Bewußtsein von der körperlichen Matrix, in der es lebte…
»Mehr Daten! Mehr Daten!« verlangte der Professor. »Bisher läuft es ganz ausgezeichnet!«
»Das Licht! Das Licht!« rief ich in Panik; dann mischte sich ein gewisses zitterndes Staunen in die Panik, denn als der Verlust der kinästhetischen Wahrnehmung auf meinen Kopf übergriff wie eine Amöbe, die ihr Protoplasma vom Hals durch den Kiefer und die Wangenknochen hinauf fließen ließ, begann von dem Grün der Bäume, dem Braun ihrer Stämme, dem Rot und Blau und Gelb der Blumenbeete, dem hellblauen Himmel, vraiment sogar von der bleichen Haut des Professors, ein Leuchten auszugehen, das pulsierte und schimmerte, um sich dann zu einer unabhängigen Substanz zu entwickeln, während ich kaum mehr war als das materielose Sensorium, auf das die Strahlen einwirkten…
»Sprechen Sie! Sprechen Sie! Versuchen Sie, zusammenhängend Ihre Eindrücke zu beschreiben!«
»Oh! Oh! Oh! Ich kann sie fühlen!« stöhnte ich. Denn ich – soweit man noch von »Ich« reden konnte – nahm die strahlenden Farben nicht mehr als Schattierungen wahr, die zur Oberfläche der Bäume, Gesichter, Blumen oder des Himmels gehörten, sondern als unabhängige Wesenheiten aus Licht, die sich magisch in Materie verwandelt
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