Kind des Glücks
den Rückweg zum Paradies ohne weiteres finden konnte, wenn ich meinen Geist den rosigen Wogen dieser lustvollen Brandung hingab, die – wenn auch schwächer als die Nachtbrisen mit dem Aroma des Bittersüßdschungels, die mich auf der Veranda meines elterlichen Hauses in Nouvelle Orlean berührt hatten – eine Seele, die sich ihrem sanften Zug hingab, ins Blumen-Nirwana heimführen würden.
Während ich gegen dieses träumerische Verlangen ankämpfte, wurde mein Bewußtsein durch den Adrenalinstoß des Kampfes geschärft, und ich begann die Gefahr, um nicht zu sagen, die Hoffnungslosigkeit meiner Lage voll zu verstehen.
Meine Gasmaske war ebenso verloren wie mein Rucksack. Ich hatte weder Essen noch Wasser. Ich hatte meinen Peilsender verloren. Ich befand mich an einem unbekannten Ort tief im Innern des Bloomenveldts, Hunderte oder gar Tausende Kilometer von der Küste entfernt; selbst mit Höchstgeschwindigkeit und auf schnurgeradem Kurs eine Reise von mehreren Wochen.
Doch im Vergleich zur Gefahr, in der mein Geist schwebte, verblaßte die physische Belastung einer solchen Reise völlig, denn um zu überleben, ganz zu schweigen davon, aus dem Land der Bloomenkinder zu fliehen, blieb mir nichts anderes übrig, als die Früchte, den Nektar und die Pollen des Bloomenveldts zu essen, denn es gab keine andere Nahrungsquelle. Ich hätte für einen Sack Eßblöcke meine Seele verkauft, genau dies nämlich konnte der Preis für die Großzügigkeit der Blumen sein.
Schlimmer noch, unvorstellbar schlimmer, ich würde wochenlang durchs Bloomenveldt reisen müssen, während meine Lungen und mein Geist ungeschützt jedem pheromonischen Tropismus ausgesetzt waren, der mit den duftenden Winden heranwehte.
Auch mein Moralgefühl gab mir keinen eindeutigen Hinweis, denn verlangten nicht Liebe und Ehrgefühl von mir, alle Anstrengungen zu unternehmen, um Guy zu retten? Konnte ich mich menschlich nennen, wenn ich floh, um meinen eigenen Geist in Sicherheit zu bringen, und dabei einen Gefährten im bewußtlosen Bann der pflanzlichen Mächte zurückließ?
Außerdem, wäre es nicht leichter und unendlich angenehmer, da nun die Unterwerfung unter das Bloomenveldt so oder so unvermeidlich war, zum Duftgarten zurückzukehren, um wenigstens in bewußtlosem Entzücken mit meinem Geliebten zu leben, statt als einsames, verlorenes Bloomenkind des Waldes…?
Doch ich wußte genau, woher dieser Gedanke kam, und nicht einmal das parfümierte Flüstern des Bloomenveldts konnte mich überzeugen, daß ich eine Hoffnung hatte, Guy ohne Hilfe aus dem Duftgarten zu zerren.
Ich hatte nur zwei Möglichkeiten, und beide waren entsetzlich. Ich konnte allein zur Küste gehen oder zum Duftgarten zurückkehren und versuchen, Guy zu retten. Im zweiten Fall würde ich meine letzten bewußten Augenblicke in einem vergeblichen Versuch verbringen, das Unmögliche zu tun, und das letzte, das ich wissen würde, würde meine freudige Hingabe an den Feind meines Geistes sein. Doch ging ich nicht im ersten Fall demselben Ende entgegen? Denn niemand war je aus dem Land der wahren Bloomenkinder in die Menschenwelten zurückgekehrt, und niemand konnte besser den Grund dafür erklären als ich.
Während ich über dieses vollkommene Zusammenwirken von praktischer Unmöglichkeit und moralischem Dilemma grübelte, hatte die Sonne den Zenith schon weit überschritten. Das Licht bekam einen tiefen, goldenen Schimmer. Die Schatten der Blumen in der Nähe und die entfernteren Blätterhügel zeigten eindeutig den Weg nach Westen, gen Sonnenuntergang, wohin sich die wunderschönen, leeren Gesichter Tausender unbekannter Bloomenkinder bald in vegetativer Verehrung wenden würden.
Irgendwie erreichte das Auge in dieser klar polarisierten Nachmittagslandschaft, was Logik und Moral nicht vermochten. Ich konnte wie die Bloomenkinder das Gesicht nach Westen zum Sonnenuntergang des Geistes wenden, oder ich konnte wie ein wahres Kind des Glücks der aufgehenden Sonne bewußt in die Gefahren der unbekannten Zukunft folgen.
Die Wahl war so klar wie der Unterschied zwischen Karma und Schicksal. Guy hatte sich der Unausweichlichkeit des ersteren hingegeben, doch ein wahres Kind des Glücks konnte nur das letztere zu meistern versuchen, indem es der Zauberstraße in die selbstgewählte Dämmerung folgte, die bislang immerhin unsere Rasse von den Bäumen zu den Sternen gebracht hatte.
Ich bemerkte plötzlich, daß ich das Vielfarbige Tuch betastete. Ich bemerkte, daß ich mich an
Weitere Kostenlose Bücher