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Kind des Glücks

Kind des Glücks

Titel: Kind des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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blaue Leere nach unten trieb, während die himmlische Farbe sich zu Purpur verdunkelte, und ich erhob mich langsam auf die Füße, undeutlich der Gegenwart anderer von meiner Art bewußt, und stand reglos, den Blick in den Sonnenuntergang gerichtet, während die orangene Scheibe die geometrische Vollkommenheit des Horizonts aufspaltete und die purpurne Vollkommenheit des gewölbten Himmels mit düsteren, tiefroten Strahlen aufbrach.
    Doch als die Sonne vom schwarzen Meer der aufziehenden Dämmerung verschluckt wurde, schien sich ein sterbender Funke des unabhängigen Intellekts schmerzvoll aus den Tiefen des vollkommenen, unbewußten Entzückens freizukämpfen, um schläfrig die winzigen silbernen Punkte anzublinzeln, die die Dunkelheit des Himmels zu durchdringen begannen.
    Einige Augenblicke lang, als die Sterne nacheinander herauskamen, existierte vielleicht ein Geist, der diese silbernen Punkte als das erkannte, was sie waren; denn wenn mir mein lückenhaftes Gedächtnis keinen Streich spielt, betrachtete dieser Geist sie durch einen Schleier aus flüssiger Gaze, als weine er um den Verlust von etwas, das er nicht mehr ergründen konnte; als wüßte da immer noch einer, daß jeder Lichtpunkt eine gewaltige Sonne war und daß hoch dort droben im Himmel über dem Bloomenveldt die weitverstreuten Menschenwelten um die Sterne kreisten.
     
    Ebenso wie das Gedächtnis nicht die Stunden dieses gleichförmigen, vollkommenen ersten Tages als Bloomenkind voneinander trennen kann, so scheint es in meiner Erinnerung nur ein langer Tag zu sein, den ich verbrachte, bevor das zufällige Zusammenfallen von Sonnenaufgang und dem Wechsel des Blumenzyklus mich aus dem vernunftlosen Zustand des Waldwesens, das ich geworden war, erweckte.
    Dieser Augenblick kam, als ich im nächsten Morgengrauen erwachte, zum Nektar-Frühstück gezogen wurde und von dem, was der Wind zu mir wehte, nicht zum Verspeisen von Früchten oder neuen Kopulationen getrieben wurde, sondern mich zur Meditation unter einer Lavendelglocke zur Ruhe legte und die himmlische Leere anstarrte.
    Der Zufall oder vielleicht das, was wir Schicksal nennen, ließ mich meinen Ruheplatz so wählen, daß ich, statt den Blick nach oben zur gestaltlosen Vollkommenheit des klaren blauen Himmels zu richten, mit dem Gesicht nach Osten zu liegen kam, der aufgehenden Sonne entgegen, die in dieser Stunde knapp über dem östlichen Horizont hing und das Bloomenveldt in goldenen Glanz tauchte.
    Und als ich dort lag und der aufgehenden Sonne bei ihrem langsamen Aufstieg zum Zenith zusah, veränderte sich mit ihr unmerklich auch mein Blickwinkel; denn meine Aufmerksamkeit war völlig von diesem einzigen, langsamen Ereignis in der zeitlosen, gestaltlosen blauen Leere gefesselt.
    Vielleicht war die Macht der Blumen über Menschen, die einst Bewußtsein besessen und es verloren hatten, weniger absolut als über die Bloomenkinder, die sie geboren und mit ihren Zitzen ernährt hatten und in denen nie das Bewußtsein erwacht war. Vielleicht war meine frühere bewußte Entschlossenheit, der aufgehenden Sonne nach Osten zu folgen, bis in die untersten Gehirnbereiche durchgesickert, um zu einem einzigen Tropismus zu gerinnen – oder, aus einem anderen Blickwinkel, zu degenerieren –, der mich zwang, aufzustehen und dem gelben Ding zu folgen, genau wie viele Pflanzen ihre Blätter und Blüten der Sonne zuwenden, während sie tagsüber durch den Himmel zieht.
    Wie dem auch sei, eine Art trüber, vegetativer Bewußtheit begann sich langsam in die vollkommene Sphäre des Wesens vorzuschieben, das auf einem Blatt lag und die goldene, zu ihrem Zenith aufsteigende Sonne anstarrte, während das Grün des Bloomenveldts in ein strahlendes Licht getaucht wurde, das, statt dem prächtigen Antlitz zu entspringen, vielmehr in Richtung Osten und zum Himmel hinauf auf die Sonne zuzuströmen schien.
    Das soll nicht heißen, daß etwas wie menschliches Bewußtsein zurückgekehrt war, denn dieser schwache Drang, mich zum goldenen Gesicht der Sonne zu erheben, war zweifellos kein geringerer visueller Tropismus als jene des Geruchs- und Geschmackssinns, die bislang meine Stunden dirigiert hatten.
    Und doch, so trüb und gedankenlos er war, dieser Tropismus war kein Befehl des Bloomenveldts. Vielmehr glaube ich heute, daß die Überreste meines bewußten Geistes erfolgreich alles, was ich einmal gewesen war, in diesem einzigen, einfachen Tropismus kondensiert hatten – nämlich dem gelben Gesicht der Sonne in den

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