Kind des Glücks
eines Blumenhains stolperte – oder gar nur in den einer einzigen, ausreichend gewitzten Blume –, gab es kaum noch Hoffnung, daß ich noch einmal den Fuß auf den Pfad zum Bewußtsein setzen konnte.
Was das Bewußtsein der Kreatur anging, die vorsichtig ihren Weg von einem Blatt zum nächsten suchte und drei- oder viermal in der Stunde innehielt, um sich zu orientieren und einen sicheren Weg zwischen den Blumen zu finden, so entwickelte es sich unter dem evolutionären Druck des komplizierten Verhaltens, das das bloße Überleben jetzt erforderte, zu immer stärkerer Wachheit, genau wie sich unsere Art vor langer Zeit aus dem Instinktverhalten erhob, als sie ihren langen Marsch aus dem bewußtlosen Eden der Bäume antrat.
Denn ich war gezwungen, über jeden Schritt nachzudenken, ich war gezwungen, vorauszuschauen, ich war gezwungen, mir einen sicheren Weg durch die zukünftige Umgebung einzuprägen und eine Ebene kognitiver Abstraktion zu erreichen, die ausreichte, dieser geistigen Karte der Landschaft auch während der gefährlichen Gegenwart zu folgen.
Ja, eine so komplizierte Wahrnehmung der Beziehung zwischen Raum und Zeit kann sehr gut als die Minimalvoraussetzung für das Bewußtsein bezeichnet werden.
Als die Sonne dann hinter dem westlichen Horizont zu versinken begann, konnte man mit Fug und Recht sagen, daß eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem »Ich«, das die Geschichte erzählt, und der Bewohnerin des Gehirns der Hauptperson der Erzählung zurückgekehrt war.
Ich wußte, daß ich bald ein relativ sicheres Blatt suchen mußte, auf dem ich die Nacht verbringen konnte, denn es würde nicht mehr lange dauern, bis jede Blume des Bloomenveldts das unwiderstehliche Schlafparfüm verströmte. Und als ich eins gefunden und mich niedergelassen hatte, hatte ich eine Bewußtseinsebene erreicht, in der ich nur zu gut über die Gefahren nachdenken konnte.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich gereist war, wie weit ich gekommen war oder wieviel Bloomenveldt noch zwischen mir und der sicheren Küste lag. Ich hatte nur äußerst undeutliche Vorstellungen, wie lange ein menschlicher Körper ohne Nahrung auskam – ein perfekter Meister der Yogi-Künste vielleicht einige Wochen, doch certainement jemand wie ich nur wenige Tage. Doch ich wußte mit absoluter Gewißheit, daß es den Untergang meines Bewußtseins bedeutete, wenn ich ohne Schwebegürtel, der mich gen Sonnenuntergang herauszog, die Früchte des Bloomenveldts aß oder seinen Blumen zu nahe kam.
Ich, die, um es vorsichtig auszudrücken, noch nie eine Anhängerin asketischer Disziplinen gewesen war, mußte eine Fastenzeit von heroischer Länge durchmachen. Außerdem durfte ich dabei auch nicht für den kleinsten Augenblick zulassen, daß mein bewußter Wille die Gewalt über das Fleisch verlor, denn die Zeit würde unweigerlich kommen, da meine Zellen nach Nahrung schreien würden, und wenn dann kein »Ich« Zurückhaltung zu gebieten vermochte, würde kein »Ich« aus dem bewußtlosen Reich der Bloomenkinder zurückkehren.
Und während das Mantra weiter in meinem Gehirn vibrierte, während meine Lippen versiegelt blieben, während das goldene Antlitz der Sonne in meinem geistigen Auge sogar noch weiterleuchtete, als schon die ersten Sterne der Nacht im schwärzer werdenden Himmel erschienen, wußte ich genau, daß der bloße Tropismus nicht ausreichen würde, um die bewußte Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten, die sich jetzt den Eid schwor, daß der Körper, in dem sie lebte, erlöschen würde, ehe der Geist in ihm sich aufgab.
»Folge der Sonne, folge dem Gelb, folge der Zauberstraße…«
Als ich dort auf meinem Blatt saß, war ich fest entschlossen, wenigstens als bewußtes Wesen zu sterben, wenn ich schon in dieser gleichgültigen Weite untergehen mußte; als Wesen, das bis zum Ende das Recht hatte, sich als Menschen zu bezeichnen. Das Mantra, das in meinem Gehirn schwang, und das goldene Mandala, das mein inneres Auge erfüllte, begannen eine neue, komplexere Bedeutung anzunehmen – oder besser, die Botschaft, die ich mir selbst in dem einfachen Tropismus hinterlassen hatte, der ein bewußtloses Wesen durch Hunderte von Kilometern des Bloomenveldts gebracht hatte, begann im wieder auftauchenden Bewußtsein des menschlichen Geistes, der zu Beginn mein Kleinhirn programmiert hatte, ihre Bedeutungsschichten abzustreifen.
»Vor dem Sänger war das Lied, das unsere Art von den Bäumen zu den Sternen gebracht hat«, hatte Pater Pan häufig genug
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