Kind des Glücks
erlaubt. Naturellement war mir deine Verbindung zu dem Burschen, die in den erschöpfenden Annalen deiner Fallgeschichte festgehalten ist, von Anfang an bekannt. Ich will aber nicht bestreiten, daß er und ich einmal Geliebte waren – vor langer Zeit und weit entfernt. Verdad. C’est vrai. Ich sag’ die Wahrheit.«
Schließlich fand ich meine Stimme wieder. »Annalen? Fallgeschichte? Pater Pan?« stammelte ich. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin voller Fragen, die ich nicht in Worte kleiden kann.«
Wendi hob ermahnend einen Finger. »Alles zu seiner Zeit«, sagte sie und schenkte mir nach. »Aber ich habe jetzt genug geplappert. Ich bin nicht von so weit her gekommen, um den Klang meiner eigenen Stimme zu hören, so angenehm sie in meinen Ohren klingt. Du bist an der Reihe zu sprechen, Geschichtenerzählerin. Ich will die Geschichte der Flötenspielerin des Bloomenveldts von den Lippen derselben hören, denn die trockenen Monographien, die die Besitzer des Clear Light Sanatoriums bisher zur Veröffentlichung freigegeben haben, verschweigen die schärfsten und pikantesten Details. Ich will hören, warum unsere Dame der Bloomenkinder im Augenblick darauf beschränkt ist, in diesen öden Straßen für Kleingeld zu erzählen. Trink aus und sprich! Ich schwöre dir jeden Eid, daß ich keinen Profit daraus schlagen will, daß ich dir etwa deine Geschichte stehle. Und wenn du meine Unwissenheit erhellt hast, dann werde ich die deine erhellen, zumindest so weit, wie es meine bescheidenen Kräfte erlauben. Trink! Sprich! Gewähre mir die Gunst und erzähle deine eigene wahre Geschichte!«
Und so, während meine Beredsamkeit die ganze Zeit mit mehr Kelchen Wein, als ich zählen konnte, gut geschmiert wurde, erzählte ich Wendi Sha Rumi eine stark verkürzte Version der Ereignisse, die ich bisher in dieser Geschichte wiedergegeben habe; ich unterschlug nur die Dinge, die meine Person in keinem sehr leuchtenden Licht erscheinen ließen, einige der intimeren Details und natürlich die Analysen, die ich hier im nachhinein über sie anstelle, denn diese gingen damals über meine intellektuellen Fähigkeiten.
»Ah, als ich das erstemal Omars Ode sah, wußte ich sofort, daß wir Freunde werden würden!« erklärte Wendi, als ich mehr oder weniger geschlossen hatte. »Denn gewiß bist du eine Schwester des Geistes des Mädchens, das ich einst war, und mit etwas Glück bin ich die Schwester des Geistes der Frau, die du eines Tages sein wirst.« Sie runzelte die Stirn. »Aber trotz deines natürlichen Talents als Erzählerin von Geschichten bleiben Dinge, die ich nicht ganz verstehe…«
»Die du nicht verstehst!« rief ich. »Vraiment, an deiner Anwesenheit auf Belshazaar oder meiner Anwesenheit in diesem Zimmer ist kaum etwas, das ich verstehe!«
»Nun, dann laß uns abwechselnd die Rollen von Frager und Auskunftgeber übernehmen, meine Liebe«, sagte Wendi. »Die erste Frage soll die deine sein…«
»Was tust du hier, Wendi?« fragte ich. »Was willst du von mir?«
»Soll ich meine Antwort in Begriffen des Geistes geben, der Kunst oder des Handels, Liebes?«
»Gewiß«, gab ich trocken zurück, »bist du als Romanautorin in der Lage, die drei Ebenen zu vereinen…?«
»Gut gesprochen!« erklärte Wendi mit einem kleinen Lachen. »In Begriffen des Geistes wußte ich, wie ich bereits sagte, daß du eine zeitverschobene Schwester meines eigenen Herzens bist, als ich Omars Ode zum erstenmal sah. In Begriffen der Kunst erkannte ich, als ich die trockenen Details deines Abenteuers in den Annalen nachschlug, eine unvollkommene, aber vielversprechende Geschichte, die ich von der Heldin selbst hören wollte, um meine Meisterschaft in dieser Kunst zu bereichern; denn wie du noch lernen wirst, darf ein ernsthafter Ausübender der Kunst nie aufhören, die Werke der Kollegen zu studieren. Und was den Handel angeht, so habe ich den Auftrag bekommen, dir zu helfen, eine angemessene Version deiner Abenteuer im Bloomenveldt für die Matrix vorzubereiten.«
»Matrix? Auftrag? Annalen? Qué pasa?«
»Einen Moment, ma chère!« schalt Wendi. »Wenn es um den Handel geht, mußt du mir antworten. Nämlich, warum um alles in der Welt finde ich unsere Dame der Bloomenkinder, die Heldin und Autorin der Geschichte der Flötenspielerin des Bloomenveldts, die Schöpferin von so vielen klugen, wenn auch nicht sehr kunstvollen Veröffentlichungen, auf diesen elenden Straßen um Almosen bettelnd?«
»Weil ich Geld brauche
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