Kind des Glücks
Jene, die nur aus schon existierenden Bedingungen Profit schlagen, während sie es sorgfältig vermeiden, die Existenz derselben bewußt anzuerkennen? Die unschuldigen Bloomenkinder? Jene, die wie Ihr Guy willentlich ihren Geist den Blumen ausliefern? Die Blumen des Bloomenveldts, die nur ihrer natürlichen Evolutionsrichtung folgen, nämlich dem Weg zum Bewußtsein?«
»Diese Fragen, wer hier Schuld trägt oder ein Monster ist, mögen sein, wie sie wollen – ich spreche über praktisches Handeln, nicht über moralischen Dreisatz!« erklärte ich gereizt.
»La même chose, in diesem Fall«, sagte Linda tonlos. »Denn hierhaben wir einerseits eine Art von menschlicher Gestalt, derenBewußtsein schon lange einen anderen Weg geht als das unsere und das verlöschen wird, wenn ihm sein pflanzlicher Symbiont genommen wird, und andererseits einen floralen Symbionten, der sich vielleicht zu einem Bewußtsein entwickelt, das er nur mit Hilfe seiner menschlichen Befruchter erlangen kann. Wir können einen oder beide aus dem Universum ausradieren, doch wir werden den Bloomenkindern nie die volle Bürgerschaft eines bewußten Menschen geben können. Haben wir deshalb das moralische Recht, einen doppelten Genozid zu begehen, wenn eine solche wissenschaftliche und karmische Gewalttat keinen einzigen Vorteil bringt? Sind Sie wirklich bereit, etwas Derartiges zu unternehmen?«
»Wenn man es so ausdrückt, je ne sais pas…«, mußte ich zugeben. »Aber was ist mit den bewußten Menschen, die in den Bann der Blumen geraten sind? Wie Guy zum Beispiel?«
»Was ist mit denen, die sich ganz bewußt dafür entscheiden, in den Armen des pflanzlichen Nirwana zu sterben?« Linda Yee Lech war, erbarmungslos. »Würden sie gerettet werden wollen? Vraiment, würde Ihr Guy Ihnen danken, wenn Sie ihn von seiner vollkommenen Blume reißen, damit er den Rest seines Lebens in einer Nervenklinik verbringt? Wenn wir, unseren eigenen Vorstellungen von Gut und Böse folgend, solchen Geistern unseren Willen aufzwingen – sind wir dann nicht genauso faschistisch wie die Blumen, die wenigstens keinen ganzen Kontinent sterilisiert haben?«
»Abermals ist jetzt, was einst klar schien, durch ein Übermaß von Weisheit bewölkt«, konnte ich nur erklären.
Linda Yee Lech lächelte. »Unglücklicherweise gibt es allzu viele Beispiele dafür, daß wir aus der Weisheit dies lernen sollen: Die Fähigkeit zu handeln ist nur die Kraft, alles schlimmer zu machen«, sagte sie.
Glücklicherweise waren andere Erleuchtungen weit weniger schlimm und dienten eher meiner Entwicklung als Geschichtenerzählerin und nicht dazu, meine Vorurteile über die Moral meiner Mitmenschen zu verstärken. Besonders Dalta Evan Evangeline, die literarische Archäologin, trug viel dazu bei, mein Bewußtsein für die unzähligen Nuancen zu öffnen, die in fast jedem Bild und jeder Figur in meiner Erzählung enthalten waren; denn sie zog Verbindungen zu einer mehrere Jahrtausende alten Geschichte von Mensch und Kunst und führte mich zu einem viel tieferen Verständnis gewisser Aspekte meiner eigenen Geschichte und der Erzählungen, die ich von den Geschichtenerzählern der Gypsy Joker gelernt hatte.
Diese Odyssee begann ganz unschuldig, als sie mir ein Exemplar der Geschichte von Peter Pan gab und andeutete, daß ein gründliches Studium des Buches von einiger Bedeutung für die bevorstehende Aufgabe sein könnte. Da ich ohnehin die Absicht hatte, mich damit zu befassen, seit ich von der Existenz des Buches gehört hatte, stimmte ich sofort zu.
Doch nachdem ich die Geschichte gelesen hatte, war ich völlig verwirrt. Natürlich war der Eigenname Pater Pan eine etwas plumpe Anspielung auf den Peter Pan der Geschichte, und ebenso deutlich konnte ich im Domo des Stammes der verlorenen Jungen einen guten Teil von Pater sehen. Doch das Ende der Geschichte widersprach dem Geist der Zauberstraße völlig; denn ich konnte mir kaum vorstellen, wie mein Pater die Moral guthieß, die durch das Buch verkündet wurde – als die verlorenen Kinder ihr Leben zugunsten der Alltagswelt der Erwachsenen aufgaben. Und die Wendi der Geschichte besaß nur flüchtige Ähnlichkeit mit der Wendi, die ich kannte und die diesen Eigennamen gewählt hatte.
Als ich bei einem Mittagessen aus pasta, sautiertem Gemüse und gratiniertem Käse mit Wendi und Dalta diese Angelegenheit zur Sprache brachte, zeigte sich letztere interessiert, als hätte ich sie auf völlig neue Gedanken gebracht, während erstere
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