Kind des Glücks
existentiell beängstigende Vision der völlig unnatürlichen und künstlichen Natur ihres Lebens und ihrer Welt zu erfahren – eine Erfahrung, welche die besten Geister der menschlichen Rasse, nämlich bescheidenerweise sie selbst, mit mehr als tausendjähriger Geschichte und Handwerkskunst zu transzendieren suchen.
Naturellement blieb dem Mädchen, das vom ersten Anblick ihrer Welt völlig überwältigt dastand, eine derartige Einsicht in die Weltanschauung und den esprit de vie der Edojin verwehrt. Und ebensowenig half es ihr, die Fassung zurückzugewinnen, als der Boden unter ihren Füßen wegstürzte.
Genaugenommen nicht ganz unter meinen Füßen, obwohl der psychische Eindruck dem nicht unähnlich war; in dem, was ich für den festen Boden einer Bergwiese gehalten hatte, öffnete sich plötzlich ein großes rundes Loch; meine Mitreisenden von der Bird of the Night begannen ganz ungezwungen, gefolgt von ihren Schwebern mit dem Gepäck, über den Rand zu treten und verschwanden im Innern des Berges.
»Quelle chose!« rief ich, als die Leute einer nach dem anderen in den Abgrund sprangen, als wäre es das Natürlichste der Welt, was es, wie ich lernen sollte, auf dieser Welt tatsächlich war.
Ein großer dunkler Mann, der ganz in roten Samt gekleidet war, wandte sich mitleidig an mich, als ich dort stand, zu ängstlich, um wenigstens über die Kante zu blicken. »C’est nada«, sagte er, indem er meine Hand nahm. »Fallrohr mit Null g, man schwebt wie eine Feder. Geronimo!«
Dann sprang er über den Rand und zog mich mit, und ich kreischte.
Ich stürzte jedoch nicht wie ein Stein in die dunklen Tiefen der Erde hinunter, sondern trieb fast gewichtslos durch ein gewaltiges, helles und luftiges Atrium hinab und in den Berg hinein, der gar kein Berg war.
Welche Fülle von Geräuschen und Farben und Menschen! Der große Hohlraum, durch den ich und zahllose andere trieben wie Staubkörnchen in einem goldenen Sonnenstrahl, der sich vom fernen Boden zu erheben schien, war von Balkonreihen umgeben. Einige waren Gartenpromenaden mit üppigem Grün, andere Wandelhallen mit Restaurants, Tavernen und Boutiquen, wieder andere die Schauplätze von anscheinend spontanen Festlichkeiten, schauspielerischen Darbietungen, Konzerten und anderen Vergnügungen, die mir völlig unverständlich waren. Ein Dutzend Musikstile verschmolzen zu einem nicht unangenehmen Mißklang, die Luft summte im Geplapper zahlloser Stimmen, und mir lief das Wasser im Mund zusammen, als ich langsam durch verschiedene Bereiche mit Speisedüften hinabglitt.
Es ist praktisch unmöglich, die Edojin, die diesen umgekehrten Turm bevölkerten, nach Kleidungsmode, Aufmachung oder genetischem Stil einheitlich zu beschreiben, denn sie schienen in Kleidungsstil und kosmetischen Eigenarten ebenso überspannt und eigenartig und surreal zu sein wie in ihrer planetenformerischen Kunst. Während keiner sich deutlich aus der allgemeinen Bandbreite von Größe und Umfang unserer Art herauszuheben schien und alle die angemessene Anzahl und Anordnung von Gliedern und Sinnesorganen besaßen, schienen sämtliche feineren Details ausschließlich die Sache persönlicher Launen zu sein. Die Hautfarben umfaßten, ebenso wie die Haartönungen, das ganze sichtbare Spektrum, und die Frisuren der Männer und Frauen schlossen alles ein – von kurzgeschnittenem Gestrüpp bis zu riesigen Türmen, getrimmt und gestaltet zu abstrakten oder sogar gegenständlichen, skurrilen Gebüschen aus Haar, und die Kleidung konnte nur aus Körperfarbe oder aus alles verhüllenden, vielschichtigen Roben aus Dutzenden von Farben und allen möglichen Zwischenstadien bestehen, und Ohren, Nasen, Glieder und Körper waren nach jeder denkbaren Mode reich mit Juwelen geschmückt oder blieben völlig unverziert.
Ich trieb langsam in dieses Wunderland hinab, in einem ekstatisch verwirrten Zustand, der sich zur Grundstimmung meines Bewußtseins zu entwickeln schien, seit ich den ersten Blick auf Edoku geworfen hatte; ich bemerkte kaum, daß mein Ritter mit der roten Samtrüstung schon lange meine Hand losgelassen hatte und vogelgleich auf einem der vorbeiziehenden Balkone gelandet war. Erst als ich spürte, wie die wirkliche Oberfläche Edokus meine Fußsohlen küßte, bemerkte ich, daß die schwindelerregende Fahrt vorbei war.
Soweit jedenfalls, wie irgend etwas, das man auf Edoku unter den Füßen hat, als die wahre terra firma bezeichnet werden kann, denn der Grund, auf dem ich landete, erschien
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